2. Hamburger Round Table: PVC-freie Designbeläge – mehr als ein Nischenprodukt?


Der Markt für PVC-freie Designbeläge ist unübersichtlich, Konstruktionsarten und Inhaltsstoffe uneinheitlich. Ob die junge Produktgattung eine Zukunft haben wird und wie man ihr zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen kann, diskutierten Vertreter aus Industrie, Handel und Handwerk.

Auf Einladung von BTH Heimtex und ihrer Schwesterzeitschrift Parkett Magazin kamen Vertreter von Industrie, Handel und Handwerk aus der Bodenbelagsbranche zum Round Table "Die Zukunft von PVC-freien Designbelägen" in Hamburg zusammen. Die Teilnehmer am Gespräch im Anglo German-Club an der Außenalster einte der Wunsch, der jungen Produktgattung mehr Aufmerksamkeit verschaffen zu wollen. Über den Weg dahin und zu der Frage, ob aus der Entwicklung mehr werden könne als ein Nischenprodukt, gingen die Meinungen jedoch auseinander.

Unternehmensberater Karl-Heinz Scholz prognostizierte in einem einführenden Kurzvortrag, dass sich die Umsätze mit Designbelägen/LVT allein in Deutschland zwischen 2015 und 2018 mehr als verdoppeln werden auf dann 800 Mio. EUR bzw. 53 Mio. m2 verkaufte Ware. Das weckt Begehrlichkeiten. Und die wachsen, weil gleichzeitig die Absätze fast aller anderen Bodenbelagsarten sinken, stagnieren oder mit mageren Steigerungen vor sich hin dümpeln. Agierten vor 20 Jahren auf dem deutschen Markt für Designbeläge kaum eine Handvoll Firmen wie der Pionier Amtico, Project Floors, Objectflor und DLW Armstrong (heute DLW Flooring), tummeln sich derzeit zwischen 80 und 100 Hersteller, Lieferanten und Anbieter. Schätzungen zufolge produzieren mittlerweile in Asien mehr als 700 Fabriken PVC-Designbeläge. Hinzu kommen alteingesessene sowie neue Anlagen in Europa.

PVC-Designbeläge sind unter Preisdruck

Diese Entwicklung führt seit einiger Zeit zu einem Preisverfall bei den klassischen heterogenen PVC-Designbelägen. "Dieser verläuft schneller und schlimmer als damals bei Laminat", erklärte Scholz, der seit rund 20 Jahren für die Fußboden-, Farben- und Innenausbauindustrie arbeitet. Deswegen herrsche Unsicherheit im Markt und alle stellten sich die Frage, was nach dem Hype um PVC-Designbeläge kommt.

Seiner Meinung nach geraten durch die sinkenden Marktpreise die Hersteller unter Druck und müssen günstiger produzieren. Gespart werde dann etwa an Virgin-PVC, das im steigenden Maße durch Recycling-PVC ersetzt wird. Oder der Anteil von Füllstoffen werde erhöht. Darunter leide die Qualität, was die ganze Produktgattung Designbelag in Mitleidenschaft ziehen könne, so Scholz Befürchtungen.

"Zudem kann niemand ausschließen, dass sich die Stimmung in der Öffentlichkeit erneut gegen PVC wendet", gab er zu bedenken und erinnerte daran, dass es Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre eine Reihe von größeren Reklamationen bei PVC-Bodenbelägen gab. Das hemmte deren Absatz. Gleichzeitig erlebte Linoleum für einige Jahre ein Revival.

Um solche Thematiken bereits im Vorfeld auszuschließen, verzichten seit wenigen Jahren die meisten wichtigen Hersteller auf phthalathaltige Weichmacher in ihren Designbelägen. Diese stehen in Verdacht, das Erbgut zu schädigen und in der Folge beispielsweise die Fortpflanzungsfähigkeit zu beeinträchtigen.

Die Industrie ist optimistisch

Die gesamte Wertschöpfungskette bei PVC-Designbelägen ist heute nach Ansicht von Scholz mit vier Themen konfrontiert: Preis, Qualität, Nachhaltigkeit und Image der Produktkategorie. Hier böten sich PVC-freie Designbeläge als Alternativprodukte an. Die Fragen, ob und wann diese Produkte aus der Nische kommen und eine bedeutende Rolle im LVT-Gesamtmarkt spielen, beantworteten die Gesprächsteilnehmer sehr unterschiedlich.

Volker Kettler, Leiter Forschung und Entwicklung bei Meisterwerke, ist davon überzeugt, dass in die Produktgruppe der PVC-freien Designbeläge eine große Dynamik komme: "Da wird seit einigen Jahren sehr viel Forschung und Entwicklung betrieben, vor allem bei den Hybrid- bzw. Multilayerböden. Man sieht es ja am wachsenden MMFA-Verband und seiner Produktvielfalt." In naher Zukunft würden einzelne Hersteller die gesamte heute verfügbare Palette klassischer PVC-Designbeläge als PVC-freie und wasserfeste Ausführungen anbieten können. "Das wird eine Sogwirkung haben. Mehr Produzenten steigen ein. Infolge der dann steigenden Mengen werden die momentan im Vergleich zu PVC höheren Rohstoffkosten der alternativen Materialien sinken."

Genauso sah es Sebastian Wendel, Leiter Forschung und Entwicklung in der Classen-Gruppe: "Ich schätze den Anteil von Designbelägen ohne PVC in fünf Jahren auf 30 bis 50 % des LVT-Gesamtmarktes ein. Dann wird PVC-Freiheit eine Selbstverständlichkeit sein wie heute Phthalatfreiheit. Und überlegen Sie mal, welcher Druck entsteht, wenn in Deutschland etablierte LVT-Anbieter PVC-freie Produkte im großen Stil in den Markt tragen. Getrieben wird das auch durch große asiatische Produzenten, die an dem Thema dran sind."

Das konnte Oliver Kluge, Geschäftsführer von Amtico International und zuständig für alle Märkte in Europa außerhalb Großbritannien, bestätigen: "Es wird keine zwölf Monate mehr dauern, dann werden in Europa PVC-freie Designbeläge aus asiatischer Herstellung angeboten."

Skepsis beim Fach- und Großhandel

Die anwesenden Vertreter des Handels zeigten sich skeptisch gegenüber den Prognosen aus der Industrie. Auf PVC-freie Bodenbeläge aufmerksam zu machen, gehöre zwar zum Standard in einem Beratungsgespräch des Holzhandels, berichtete Michael Sommer, Bereichsleiter Vertrieb bei Holzland. Der Umsatzanteil dieser Produkte liege derzeit aber deutlich unter 5 % aller verkauften Designböden. Leider, denn: "PVC-freie Designbeläge sind für den Holzhandel eine willkommene Gelegenheit, einen Mehrwert zu verkaufen und sich zu differenzieren." Den gegenwärtigen Stand fasste er so zusammen: "Für Kunden, die ein Problembewusstsein in Bezug auf Bodenbeläge aus PVC mitbringen oder in unserer Beratung sensibilisiert werden, ist das Thema durchaus wichtig. Insgesamt aber ist der Wissensstand in diesem Bereich beim Kunden des Holzhandels heute noch nicht sehr ausgeprägt."

Auch Olaf Neetzke, Leiter Einzelhandel bei der Decor-Union, warnte vor zu großer Euphorie. Die in der Einkaufskooperation organisierten Raumausstatter und Fachhändler zeigten in der Regel wenig Bereitschaft, das Thema PVC-frei aktiv zu vermarkten. Sie hätten Angst, in die "Öko-Ecke" geschoben zu werden, und auch vor der Frage, ob denn der Rest des Sortiments bedenkliche Inhaltsstoffe habe? "Der normale Endkonsument lässt sich heute beim Kauf nicht von ökologischen Motiven leiten. Entschieden wird nach Optik und Preis", stellte Neetzke nüchtern fest.

Sebastian Wendel und Markus Schätzle, Vertriebsleiter International bei Upofloor, haben die Erfahrung gemacht, dass sowohl Entscheider im Objekt als auch Endverbraucher Interesse haben an nachhaltigen Produkten. Doch die Bereitschaft, dafür mehr zu zahlen als für optisch und funktional vergleichbare Bodenbeläge, sei gering.

Michael Gerbl, Leiter Marketing und Produktmanagement Egger Retail Products, geht allerdings davon aus, dass sich das Käuferverhalten ändern werde. Der Megatrend Achtsamkeit, der bei Lebensmitteln schon große Bedeutung habe, werde auch die Bodenbelagsbranche stärker erfassen: "Man stellt sich die Fragen, woher ein Bodenbelag kommt, aus was er besteht, wie er produziert wird und ob er Auswirkungen auf meine Gesundheit hat."

Joachim Klein, Chefeinkäufer von Großhändler Mega, erinnerte beim Thema Kaufverhalten von Endverbrauchern an die Polystyrol-Problematik in der Wärmedämmung. Nachdem über das Thema kontrovers und emotional in den Medien berichtet worden war, sei der Markt für Produkte mit Polystyrol bei Ein- und Zweifamilienhäusern zusammengebrochen. Ähnliches könne auch bei Designbelägen aus PVC passieren. Wenn die Produkte erst einmal in Verruf kommen, beschäftigten sich die Endverbraucher mit dem Thema und könnten für sich entscheiden, keine Chlorchemie mehr auf dem Boden ihres Zuhauses haben zu wollen.

Noch sind PVC-freie Beläge teuer

Deswegen hat die Mega vor zwei Jahren die Kollektion "Gesünder Wohnen" aufgelegt. Sie enthält ausschließlich Bodenbeläge ohne PVC - auch Designbeläge. Die Umsätze blieben - ähnlich wie bei Holzland und der Decor-Union - bisher hinter den Erwartungen zurück. Das liege auch an den beispielsweise bei den PU-Produkten um rund 10 bis 20 % höheren Preisen im Vergleich zu Designbelägen aus PVC. Der Verkaufserfolg hänge aber auch vom Handwerker ab, der die Kollektion präsentiert, berichtete Klein.

"Wir haben in Deutschland momentan keine negative PVC-Diskussion", sagte Oliver Kluge. Trotzdem sei das Thema PVC-freier Designbelag für seine Kunden - das sind vor allem Direktkunden - in ganz Europa in den vergangenen fünf Jahren immens in seiner Bedeutung gewachsen. Deswegen biete Amtico mit Cirro seit diesem Jahr wieder einen PVC-freien Designbelag an. Wieder, weil man bereits vor 17 Jahren mit Stratica ein Produkt ohne Vinyl am Markt hatte; es wurde nach einigen Jahren eingestellt, weil der Absatz unter den Erwartungen blieb.

Auch nach Ansicht von Windmöller-Geschäftsführer Ralf Eisermann haben PVC-Designbeläge ein gutes Image in der Öffentlichkeit. "Es gibt beim Endverbraucher kein Störgefühl." Es gebe aber eben auch ein wachsendes Kundenklientel, dem das Thema Nachhaltigkeit neben den klassischen Wünschen nach schöner Optik, funktionalen Eigenschaften, gutem Preis und Sicherheit wichtig sei. Wineo bediene dieses Segment mit dem "Bioboden Purline" zusätzlich zum Geschäft mit klassischen PVC-Designbelägen.

Baumärkte setzen auf PVC-frei

Sebastian Wendel schilderte die Situation im Vertriebskanal Baumarkt. Dort ist Classen mit seinen Designbelägen auf Basis des mineralischen Werkstoffes Ceramin aktiv und nach eigenen Angaben auch erfolgreich. "Baumärkte und große Einrichtungsketten entscheiden sich nicht unbedingt nur für PVC-freie Bodenbeläge, weil sie kein PVC enthalten. Die Einkäufer listen es, weil sie sich mit diesen Innovationen absetzen können gegenüber den Wettbewerbern und glänzen wollen gegenüber dem Endkonsumenten." Andere zögen nach, um auch am Geschäft zu partizipieren. Daraus entstehe eine eigene Nachfragedynamik.

Klaus Horeis, bundesweit tätiger Objekteur, sieht in PVC-freien Designbelägen eine lukrative Marktnische. Die junge Generation sei besser informiert, denke nachhaltig und wolle das beim Bauen auch umsetzen. Dies gelte sowohl für das Objekt als auch für den Wohnbereich. Deswegen hat er in seine Ausstellung ein Ökostudio integriert, in dem er gezielt und aktiv Kunden beraten kann, denen das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist. "Das ist heute noch auf relativ kleiner Flamme und macht 5 bis 10 % des Umsatzes aus. Aber der Bedarf wird definitiv steigen."

Ein griffiger Gattungsbegriff muss her

Karl-Heinz Scholz sieht für PVC-freie Designbeläge aber nur dann eine erfolgreiche Zukunft, wenn die Hersteller für mehr Produkttransparenz sorgen. "Heute herrscht das Gegenteil, ein regelrechtes Durcheinander und Wildwuchs an Konstruktionsarten, Materialzusammensetzungen und vor allem an Bezeichnungen. Da blicken selbst Experten kaum mehr durch. Wie soll sich hier ein Endverbraucher eine Meinung bilden und zu einer sicheren Kaufentscheidung kommen", kritisierte der Unternehmensberater (siehe Kasten auf Seite 42). Dazu gehöre auch, klar die Produktherkunft zu deklarieren. "Der Handel kann die neuen Produkte erst dann effektiv vermarkten, wenn er sie selbst versteht und klar einordnen kann anhand von Bezeichnung, Inhaltsstoffen und Eigenschaften. Dann kann auch ein höherer Preis leichter argumentiert werden."

Alle in der Runde waren sich einig, dass man für die Vielzahl von PVC-freien Designbelägen einen griffigen Ober- bzw. Gattungsbegriff finden muss. Erst dann erreiche man eine höhere Durchschlagskraft im Markt. Aber soll der Name betonen, dass die Produkte kein PVC enthalten? Oder sollen lieber andere Eigenschaften herausgestellt werden?

Bis jetzt gehen alle Hersteller PVC-freier Designbeläge ihren eigenen Weg. Die Produkte heißen heute "natürlicher" oder "wohngesunder Designbelag", "Enomer-Belag" bzw. LET (Luxury Enomer Tiles) oder gleich "Bioboden" wie die Purline-Kollektion aus PU von Windmöller. Das Unternehmen ist jetzt noch einen Schritt weitergegangen und hat sich den Begriff LOT (Luxury Organic Tiles) weltweit schützen lassen, berichtete Geschäftsführer Eisenmann.

Amtico wiederum bewirbt Cirro direkt mit dem Argument PVC-frei. "Das haben uns unsere Kunden europaweit in Workshops als Feedback gegeben", berichtete Oliver Kluge. Die Bezeichnung sei verständlich, eindeutig und momentan im Markt das wichtigste Argument. Vielleicht ist das heute und so lange man keinen griffigen Gattungsbegriff gefunden hat die beste Strategie, um PVC-freie Designbeläge nach vorne zu bringen.
jochen.lange@snfachpresse.de
aus BTH Heimtex 07/17 (Bodenbeläge)