"Alle Dämmsysteme senken den Energieverbrauch"
Wärmedämmverbund-Systeme sind besser als ihr Ruf. Davon ist Diplom-Ingenieurin Nicola Beck überzeugt. Die Leiterin des Hamburger Energiebau Zentrums gibt professionellen Verarbeitern Argumentationshilfen.
Das Ansehen von Wärmedämmverbund-Systemen (WDVS) leidet nach wie vor unter Negativ-Schlagzeilen. Erhöhte Brandgefahr, Schimmel im Gebäude, Algen an der Fassade, geringe Gestaltungsmöglichkeiten, zu hohe Amortisationszeiten und fehlende Umweltverträglichkeit sind Argumente, die gegen die Dämmung ins Feld geführt werden. Dabei steht fest: Ob WDVS oder eine andere Dämmung - alle Systeme senken den Energieverbrauch - und damit die Kosten -, wodurch sie einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Zudem sorgen sie für mehr Behaglichkeit in den Wohnräumen und steigern den Wert der Immobilie. Vor der Entscheidung für ein Dämmsystem sollten jedoch mit Unterstützung von Experten alle Vor- und Nachteile abgewogen werden.
Zum Thema Brandgefahr: Inwieweit ein Gebäude Brandschutz aufweist, hängt nicht mit dem WDVS an sich zusammen, sondern mit dem verwendeten Dämmstoff. Meist fällt die Wahl auf expandierten Polystyrolschaum, der einen guten Dämmwert aufweist und kostengünstig ist. Schaumdämmstoffe haben allgemein ein problematisches Brandverhalten - auch bei anderen Bauteilen. Dieses wird zu Unrecht auf das WDVS übertragen, obwohl es Dämmstoff-Alternativen gibt.
Problematisch bei Schaumdämmstoffen ist, dass sie im Brandfall giftige Rauchgase bilden und tropfen. Eine gängige Alternative ist Mineralfaser. Das Material ist ein wenig teurer, bietet aber besseren Brand- und Schallschutz sowie höhere Diffusionsoffenheit. Da sich der Stoff auch etwas leichter verarbeiten lässt, gilt er beim Einbau als fehlertoleranter. Ein winziger Wermutstropfen: Mineralfaser hat eine etwas schlechtere Wärmeleitgruppe als Schaumdämmstoffe.
Wer auf Dämmstoffe aus nachwachsenden Materialien setzt, kann sich beispielsweise für ein WDVS mit Holzfaser entschieden. Vorteile sind die Schalldämmung und die gute Wärmespeicherfähigkeit, die auch der Algenbildung entgegenwirkt.
Die Gefahr der Schimmelbildung nach einer Sanierungsmaßnahme mit WDVS hängt vor allem vom Lüftungsverhalten der Hausbewohner ab. Feuchtigkeit und Schadstoffbelastung, die in alten, unsanierten Gebäuden über die undichte Gebäudehülle weggelüftet wurden, müssen nach WDVS-Einbau kontrolliert vom Bewohner durch Lüften abgeführt werden. Die Gebäudehülle ist nach der Sanierung so dicht, dass es für berufstätige Hausbewohner kaum möglich ist, für die richtige Lüftung zu sorgen. In diesem Fall empfehlen sich lüftungstechnische Maßnahmen wie einfache Fensterfalz-Lüfter und technisch hochwertige Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung.
Wann sich ein WDVS rentiert, hängt vor allem vom Gebäude ab. Genaue Auskunft geben Energieberater. Interessant ist eine WDVS-Anbringung insbesondere dann, wenn ohnehin eine Sanierung der Fassade ansteht. So fallen Mehrkosten für die Wärmedämmung weniger ins Gewicht, weil viele Arbeiten wie das Aufstellen eines Gerüsts ohnehin erforderlich sind.
Je nach Wahl des Dämmstoffs und der Fassadengestaltung fallen Kosten von 100 bis 280 EUR/m
2 an. Die günstigste Variante besteht aus Poystyrolschaumdämmung mit Putz, rund 20 % teurer wird es, wenn der Dämmstoff aus Mineralfaser besteht.
Bei der Gestaltung gibt es mehrere Möglichkeiten. Es ist keineswegs zwingend erforderlich, sich im Zuge des WDVS-Einsatzes für eine Putzfassade zu entscheiden. Der Markt bietet Steinnachbildungen in verschiedenen Materialien, Farben und Mustern.
Wie bei jeder Fassade, ist auch beim WDVS im Laufe der Jahre mit Verschmutzungen und gegebenenfalls Algenbildung zu rechnen. Eine Wartung ist deshalb nötig.
Wie sich die Lebensdauer des WDVS und die Entsorgungsmöglichkeiten entwickeln, dazu mag sich heute kaum ein Experte abschließend äußern. Bleibt zu hoffen, dass sich in den nächsten Jahrzehnten Lösungen auftun.
Nicola Beck
aus
BTH Heimtex 07/17
(Bau)