Podiumsdiskussion beim Symposium Tapete, Farbe, Räume
Gibt es Wege für ein Miteinander von Tapete und Architektur?
Die Bereiche sind eng miteinander verzahnt und doch gibt es Wissenslücken. Bei der Podiumsdiskussion auf dem Züricher Symposium Tapeten, Farbe, Räume blitzte immer wieder auf, dass und wo Gesprächsbedarf besteht. Auf der Suche nach dem Verbraucher und dem richtigen Weg, mit ihm umzugehen, sowie den künftigen Märkten und den Möglichkeiten des Miteinanders: Ein Auszug des Dialogs unter den Teilnehmern Christoph Ackeret, Dieter Buhmann, Anita Simeon, Axel Venn und Moderator Urs Esposito
Urs Esposito: Auf der Swissbau 2003 hatte ich mich für eine Tapete interessiert. Als ich aus der Musterkollektion eine Auswahl getroffen hatte, sagte man mir, dass die Kollektion ausgelaufen sei. Wie verhält es sich mit den Laufzeiten einer Tapetenkollektion?
Dieter Buhmann: In der Regel findet alle zwei Jahre ein Wechsel statt, Tapeten sind ein Modeartikel. Bestseller werden aufgehoben und in die neuen Kollektionen integriert. Im Designbereich haben die Tapeten Laufzeiten von 6 bis 8 Jahren. Auf den Baumarkt werden Testtapeten gegeben und bei Erfolg werden sie produziert, solange sie Umsatz bringen.
Urs Esposito: Gibt es Untersuchungen innerhalb der Konsumentengruppen, die definieren, welche Kreise auf welche Art Tapeten stehen?
Axel Venn: Das liegt am genetischen Herkommen und an dem, was Menschen gelernt haben. Danach richtet sich auch ihr Geschmacksbereich.
Urs Esposito: Muss sich eine Kennerschaft entwickeln, um eine gewisse Tapetenart anzuwenden?
Axel Venn: Man muss etwas vorleben und nach ein paar Jahren geht es in den Mainstream über.
Urs Esposito: Wenn etwas gut gemacht ist, ist es Stil übergreifend. Es braucht jedoch im Interieurbereich ein Feingefühl, wie aufeinander abgestimmt wird.
Anita Simeon: Um ein gutes Produkt zu erkennen, braucht es Kennerschaft und Training. Gleichzeitig fühlen wir uns in gewissen Milieus zuhause und möchten diese kaum verändern. Die Grundstrukturen verändern sich kaum, was sich verändert, ist das was an der Oberfläche passiert, zum Beispiel Materialwahl, Farbe, Form.
Es gibt keine Institutionen, die geschmackliche Bildung vermitteln
Urs Esposito: Kulturgeschichtlich spricht man von einer Wellenbewegung, das heißt, dass das was in der Generation der Eltern "in" war, im gleichen Altersabschnitt in der Generation der Kinder wieder ein Revival erlebt. Trotzdem behaupte ich, dass es eine professionelle Bildung gibt, die man machen kann.
Anita Simeon: Es gibt aber keine Institutionen, wo man sich eine solche Bildung erwerben kann. Im Wohnbau fehlen meist die Fachleute, die zuständig sind für die Ausstaffierung des Raumes. Die Innenarchitekten finden sich meistens im Hotelbau oder in den öffentlichen Räumen.
Christoph Ackeret: In unserer Firma machen wir ca. ein Drittel des Umsatzes mit dem Verkauf von Wohneigentum ab Plan. Die Designfrage ist interessant: Es wird als erstes ein Grundangebot bezüglich Design benötigt und als zweite Stufe die Diskussion mit dem Interessenten über die Maßkonfektion. Dies ist eine Managementfrage und auch eine Rezeptfrage. Ich sehe ein großes Potenzial für die Tapete, wenn solche Rezepte, auch in technischer Hinsicht, interdisziplinär diskutiert und angeboten werden könnten.
Urs Esposito: Rezepte sind ein gefährliches Wort. Zwischen Architekten und Bauherren beginnt ein Meinungsbildungsprozess, der für beide Seiten spannend ist, denn nur wenn beide Seiten am gleichen Strick ziehen, gibt es am Schluss gute Architektur, mit der der Bauherr längerfristig zufrieden sein wird. Ich glaube nicht, dass wir Tapeten wie die Klingeltöne am Handy auf dem elektronischen Papier auswechseln, heute Asiatica, morgen Westernstyle.
Axel Venn: Warum denn nicht? Das ist doch ein Teil unserer Freiheit. Wir sind doch nicht Teile des Baukörpers, sondern der Baukörper nutzt uns. Es gibt eine fast unausgleichbare Diskrepanz zwischen Architektur und Design. Design will unser Wohlgefühl fördern. Der Mensch dient der Architektur - das ist der Anspruch der Architekten.
Die Rückkehr von Mustern und Strukturen bietet Chancen für die Tapete
Dieter Buhmann: Die Tapeten haben beim Architekten ein paar Probleme, etwa das Image der Spießigkeit. Aber: Oft wurden bei der Wandgestaltung Handwerkstechniken wie Lasuren dilettantisch ausgeführt, was Frust hervorrief. Mit der Tapete passiert das nicht: Sie ist ergebnissicher. Außerdem kehren Muster und Strukturen wieder zurück. Das bietet Chancen für die Tapete. Es gibt heute ca. 15.000 Tapeten im Angebot. Darunter sind Baumarkttapeten, die für den wirtschaftlichen Erfolg wichtig sind, aber schnell ausgewechselt werden. Interessant für Architekten sind jedoch die Vliestapeten, die viele Vorteile haben.
Urs Esposito: Es stellen sich zwei Fragen: Wann hört der Job des Architekten auf und wie definiert sich nachher die Auskleidung der Räume? Das Mitdenken des Architekten in der Innenraumgestaltung wird nicht honoriert. Andererseits sind wir in der Schweiz zu 70% Mieter. Und wenn wir nach 8 bis 10 Jahren reif für einen Tapetenwechsel sind, scheuen wir den Kostenaufwand für eine Mietwohnung.
Dieter Buhmann: Mit der Vliestapetengeneration ist der Aufwand nicht mehr so groß. Allerdings gelingt es den Herstellern nur schwer, diese Nutzenkommunikation bis zum Endverbraucher durchzubekommen.
Urs Esposito: Das würde bedingen, dass die Tapetenbranche die der Immobilien dazu bringt, einen übergabefähigen Untergrund zu präsentieren.
Christoph Ackeret: Seit den 60er-Jahren sind Rauhfasertapeten im Mietwohnungsbau Standard. Es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb Eigentümer von Mehrfamilienhäusern nicht auf die Vliestapete umsteigen sollten. Auch bei Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen sind 80% quasi Mengenprodukte. Hier liegen vielfältige Chancen für die Tapete.
Urs Esposito: Vor 30 Jahren wurden in Mietwohnungen Spannteppiche verlegt. Nun findet man wegen des guten Marketings dort auch Parkett. Könnte man in der Tapetenindustrie ähnlich vorgehen, um mehr Absatz zu schaffen?
Die Tapete hat vor allem ein Kommunikationsproblem.
Andrej Kupetz: Davon gehe ich aus. Die Tapete hat vor allem ein Kommunikationsproblem, es muss Anstrengungen geben von beiden Seiten. Der Architekt muss für die Industrie die wichtigste Zielfigur sein. Auch würde ich mit dem Architekten zusammen Produkte entwickeln, die auch mit seinen Vorstellungen, was Designierung angeht, korrespondieren. Das Hauptproblem liegt im Unwissen darüber, was technisch möglich ist, welche Möglichkeiten sich bieten mit der Vliestapete, Schallschutz, Wärmedämmung, Ausdesignierung der Wände. Den Digitaldruck würde ich als wichtig einstufen. Er ist zu nutzen, wenn man kleine Flächen gestalten und Akzente setzen will, zum Beispiel kann man historische Tapeten im Digital-druck wieder aufleben lassen. Das sind interessante Ergänzungen zur Großproduktion der industriellen Fertigung.
Urs Esposito: Noch eine andere Schwierigkeit: Die Tapete hat zwei Gesetzmäßigkeiten, denen sie gehorchen muss. Eine bausprachliche Komponente sowie eine bildsprachliche. Bilder tendieren dazu, immer schneller langweilig zu werden. Als Architekten suchen wir die Schlüssigkeit des Raumes, der in sich stimmig ist, von dem ich in zehn Jahren noch sagen kann: Ich würde es immer noch so machen. Es gibt auch eine Schnittstelle zwischen der Welt des Architekten, sprich Gebäude, und der Welt des Mieters, sprich Wohnung.
Anita Simeon: Deshalb kümmert sich der Architekt gar nicht um das Innere: weil das Äußere seine Königsdisziplin ist. Die Tapete und der Innenausbau sind viel näher an der Mode als an der Architektur.
Axel Venn: Das Dilemma beginnt mit dem Muster der Tapete. Das ist sehr persönlich. Es muss eine Komplizenschaft hergestellt werden. Dann gebietet es sich, eine Tapete zu wählen mit einer größtmöglichen Allgemeinakzeptanz.
Urs Esposito: Bei der Mietwohnung hat man auch die Problemstellung des kleinsten gemeinsamen Nenners, und Weiß fährt da relativ gut.
Axel Venn: Mit Off-white macht man es sehr geschickt und gibt eine gewisse Wärme dazu.
Christoph Ackeret: Sie haben heute morgen gesagt: Wünsche muss man offerieren. Ist es denn so, dass Mieter oder Hauseigentümer den Wunsch nach farbiger Tapete hätten?
Axel Venn: Viel eher nach dem Angefärbten als nach dem Farbigen. Es geht immer um eine gewisse Mainstreamigkeit. Wie kann ich diese Wohnung gut verkaufen? Er will niemals etwas ganz Neues, aber feine Differenz, gedeckte Töne, nicht zu farbig, nicht zu dunkel. Jede Wohnung müsste etwas anders sein. Dass sie individualisiert wird, ist wichtig.
Anita Simeon: Das ist ein sehr defensives Verhalten. Die Sensation wäre das andere Extrem, aber es gibt ja auch noch etwas dazwischen.
Andrej Kupetz: Man müsste auch mal darüber nachdenken, ob man die Wände nicht tapezierfähig übergibt. Dann hat der Mieter die Wahl, so zu gestalten wie er es möchte.
Christoph Ackeret: Wäre das eine Verbesserung des Angebots?
Dieter Buhmann: Ich als Tapetenmensch sehe das so. Es gibt in Deutschland etliche Wohnungsbauträger, die renovierfähig übergeben, also nicht tapeziert oder gestrichen.
Urs Esposito: Was die Farbwahl angeht, sind wir hier eher bieder.
Axel Venn: In Frankreich geht man mutiger mit der Farbe um.
Dieter Buhmann: ...wie auch im Film "Acht Frauen" zu sehen ist! Weiß ist häufig eine Verlegenheitslösung. Man kann damit nichts falsch machen, aber man bleibt unter seinen Möglichkeiten.
Anita Simeon: Farben wecken Emotionen. Allenfalls für den Architekten wäre die Farbe gut, für den Bauherrn nicht, da ist Kommunikation gefragt. Und hier hapert es.
Urs Esposito: Ich hatte auch mal eine Auseinandersetzung mit einem Bauherrn, der meinen Einsatz von Farbe nicht goutierte - bis das Objekt publiziert wurde. Fazit: Auch die Anerkennung Dritter ist beim Einsatz von Farbe sehr wichtig. Zurück zum Thema: Wie sieht die Zukunft der Tapete aus?
Andrej Kupetz: Es gibt sicherlich eine Individualisierung auf höherem Niveau als bisher. Wir werden uns nicht in einer Welt bewegen, die von Mustern überbordet. Aber Akzente können reizvoll sein. Das Ornament wird eine Rolle spielen, muss aber über eine eigene Sprache definiert werden, die unserer Zeit angemessen ist. Die Sachen mit Event-Charakter sind auf den Augenblick fokussiert und kein Thema, das sich als durchgehender Trend in den nächsten Jahren widerspiegeln wird.
Manko im Marketing: die Architekten kennen nicht einmal die wichtigsten Tapetenhersteller
Urs Esposito: Es klingt spannend: Das Trägermaterial bekommt also eine neue Wichtigkeit und ein gemeinsames Marketing, die Individualisierung kann dann von den einzelnen Herstellern beigesteuert werden. Es scheint mir ein Manko des Marketing, dass die Architekten nicht einmal die wichtigsten Tapetenhersteller kennen.
Dieter Buhmann: Mit großen Namen, die man vor eine Marketing-Kampagne hängt, kann sehr wohl Umsatz gemacht werden, was der Erfolg der Ulf Moritz-Tapeten bezeugt. In der Entwicklung des Minimalismus war die Tapete für den Architekten ein Unwort. Die fand einfach nicht statt und deshalb war es auch nicht interessant, sich mit Namen von Tapetenherstellern zu beschäftigen. Da versuchen wir, eine Renaissance hinzubekommen. Und wir glauben, dass der Architekt, der sich darauf einlässt, sehr wohl erfolgreich ist. Das zeigen auch die Luxushotels, von denen 70 Prozent mit Tapeten ausgestattet sind, aus ästhetischen und finanziellen Gründen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, sich mit dem Thema wieder intensiver auseinander zu setzen. Weshalb wir uns auch freuen, dass diese Veranstaltung eine so große Resonanz hatte.
aus
BTH Heimtex 08/04
(Tapeten, Wandbeschichtungen)