Sachverständigenfall: Verletzungsgefahr durch Risse in gealterten Dielen – Wie rustikal darf eine Parkettoberfläche sein?
Gibt es Grenzen beim rustikalen Erscheinungsbild von auf alt getrimmten Dielen? Was stört Kunden möglicherweise nach der Verlegung, obwohl zuvor ein Muster akzeptiert wurde? Diesen Fragen widmet sich Ralph Schneppensiefen aus Bergisch Gladbach.
Zum Anlass der Diskussion nahm der Parkettsachverständige Ralph Schneppensiefen die 70 m
2 Fläche einer mehrschichtigen, angeräucherten Eiche-Landhausdiele, die durch Handhobelung gealtert und weiß geölt war. Das teure Produkt war laut Hersteller für Fußbodenheizung geeignet. Während die geklebte Verlegung der Dielen, die Holzfeuchte und auch das Raumklima in dem Wohnzimmer der modernen Villa ohne Beanstandung blieben, wiesen jedoch 37 der 95 installierten Landhausdielen an der Oberfläche aufklaffende Kernrisse, Abschilferungen, ausgerissene Hobelschläge, Kantenabsplitterungen und in Rissbereichen sogar Decklamellenablösungen auf. "Das sind für mich beanstandungswürdige Merkmale, da sie teilweise eine Verletzungsgefahr darstellen", meint Schneppensiefen. Auch eine ordentliche Reinigung und Pflege sei auf einer solchen Fläche kaum möglich, da man mit Stofflappen hänge bleibe. Ganz abgesehen vom Begehen in Socken oder barfuß.
Ursprünglich hatte der Verbraucher nichts gegen einen solchen Boden gehabt. Im Gegenteil, das Muster in der Ausstellung fand er besonders schön. Schneppensiefen: "Der Kunde wollte so einen dekorativ gealterten Boden haben, er hat ihn sich ausgesucht. Später allerdings fand er es nicht mehr schön, dass man nach dem Darüberlaufen eventuell zum Arzt gehen muss." Zudem waren Kinder im Krabbelalter im Haus.
Gibt es bei der Oberflächenrauigkeit von Parkett eine Grenze? Und muss nicht spätestens der Verleger in so einem Fall Bedenken anmelden? Ja, meint eine Mehrheit von Sachverständigen und beruft sich auf die mögliche Gesundheitsgefährdung: "Selbst wenn das Parkett im Ausstellungsraum genauso mit allen Merkmalen ausgestellt war, wie es später in der Villa verlegt wurde, gibt es eine europäische Bauprodukteverordnung sowie die Gesetzgebung der Länder, die beide besagen, dass Bauprodukte sicher sein müssen und von ihnen keine Gefahr ausgehen darf."
Kundenwille als Argument
führt zu anderer Meinung
Ganz einig sind sich die Parkettgutachter aber nicht. Auf der einen Seite wird anerkannt, dass Gebrauchsnutzen ohne Gefahr für Leib und Leben gegeben sein müsse. Auf der anderen Seite steht der freie Wille des Verbrauchers: "Wenn verkauft wird, was beraten wurde, unabhängig davon, ob es geeignet ist, der Kunde es jedoch haben will, kann er es bekommen, auch wenn er sich die Füße daran verletzt", hieß es dazu auf dem Sachverständigentag.
Aber darf der Fachmann einem Kunden grundsätzlich alles verkaufen? Daran scheiden sich die Geister. Ein Parkettsachverständiger erklärt, bei der Beratung komme es darauf an, herauszufinden, was der Kunde sich wünsche. Wenn der Kunde ein bestimmtes Parkett nachweislich und auftragsgemäß bestellt habe und auf die Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche hingewiesen worden sei, dann gelte das Prinzip "bestellt und geliefert". Diese Ansicht wird durch einen Vergleich aus der Möbelbranche gestützt: Käufe von Sofas, bezogen mit teurem Pull-up-Leder im Vintage-Style, einem Nubuk-Leder mit einem Fettgriff, bei dem sich durch Knicken, Dehnen, Abschürfen schnell sichtbare Gebrauchsspuren bilden, gehen regelmäßig vor Landgerichte. Bisher wurde jedes Mal zu Ungunsten des Verbrauchers entschieden. Ob der Grundsatz "wie besehen" auch für gealterte Landhausdielen gelten kann, bleibt jedoch umstritten.
| Henrik Stoldt
aus
Parkett Magazin 03/18
(Handwerk)