Matratzenmarkt: "Intensive Wettbewerbslage"
Hamburg. Rückläufige Umsatzzahlen machen der Matratzenbranche das Leben schwer. Gleichzeitig sortiert sich der One-Fits-All-Markt teilweise neu: Der britische Anbieter Eve zieht sich aus Deutschland zurück, das Berliner Unternehmen Muun meldete Insolvenz an. Manche sprechen schon von Endzeitstimmung in der Start-up-Szene. Doch längst nicht allen geht es schlecht, wie das Beispiel von Bett1 zeigt.
Die Zahlen sind beunruhigend: 2017 belief sich der Umsatz der deutschen Matratzenindustrie laut Statistischem Bundesamt auf 933 Mio. Euro - rund elf Prozent weniger als im Vorjahr, als der Umsatz - wie auch 2015 - die Milliarden-Marke überschritten hatte. Auch der Fachverband Matratzenindustrie schlägt Alarm: "Die Zahlen für dieses Quartal sind schockierend, das lässt sich nicht beschönigen", heißt es in der Auswertung der Verbandsdaten für das zweite Quartal 2018.
Der Verband nennt wie üblich keine konkreten Zahlen. Lediglich von sinkenden Absatzmengen berichtet man in Essen, sowie einem deutlich gesunkenen Umsatz. Der Durchschnittspreis einer verkauften Matratze dürfte also rückläufig sein. Außerdem betont der Verband, "dass die Matratzen der meisten Onlinehändler in unserer Statistik nicht abgebildet werden." Insbesondere die One-Fits-All-Matratzen würden von Vorlieferanten produziert "oder entstehen aus Quellen, die uns unbekannt sind."
Mit Blick auf die einzelnen Technologien urteilt der Verband: "Die Anteile, die Schaum verloren hat, dürften zum großen Teil über den Onlinehandel verkauft worden sein. Rückgänge beim Umsatz der Boxspringbetten, die dem insgesamt schwachen Möbelhandel entsprechen, könnten die Einbrüche beim Taschenfederkern erklären." Eine Entwicklung, die sich insbesondere im Schaum-Bereich verstetigen könnte.
"Der Online-Anteil wird dieses Jahr auf mindestens27Prozent steigen und er wird weiter zulegen", glaubt etwa Markus Diekmann, ehemaliger Digital-Chef von Matratzen Concord. "Heute gilt die Matratze für 199Euro als gut, vor fünf Jahren noch hätten die meisten gesagt, eine gute Matratze kostet mindestens350bis 400Euro", sagte er der Süddeutschen Zeitung mit Blick auf die Endverbraucher.
Bett1 verdreifacht
seinen Umsatz
Dazu passt die Entwicklung von Bett1, auch wenn die Zahlen, die Inhaber Adam Szpyt für das vergangene Jahr nennt, abenteuerlich klingen: "Unser Umsatz betrug letztes Jahr 120 Mio. Euro", zitiert ihn der Berliner Tagesspiegel - was nahezu eine erneute knappe Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr wäre und fast 13 Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Matratzenindustrie ergäbe, wie ihn das Statistische Bundesamt ermittelt. Der entsprechende Geschäftsbericht von Bett1 ist noch nicht veröffentlicht.
Doch schon für das Jahr 2016 weist der Geschäftsbericht einen Umsatz von 43,7 Mio. Euro aus, ebenfalls ein Plus von 271 Prozent gegenüber dem Vorjahr. "Der Absatz unserer Bodyguard-Matratze hat sich im Jahre 2016 explosionsartig verfielfältig", schreibt Szpyt dazu. "Das Geschäftsjahr 2016 übertraf alle Erwartungen und überstieg die Entwicklung der Gesellschaft um ein Vielfaches."
Bett1 profitiert
enorm vom StiWa-Test
"Das Berliner Unternehmen profitiert enorm davon, die beste jemals getestete Matratze bei Stiftung Warentest zu sein", urteilt der Tagesspiegel. Dass der Absatz 2016 explodierte, wundert nicht: Im Juli 2015 wurde Bodyguard per Schnelltest zur besten getesteten Matratze aller Zeiten gekürt. Im Oktober des gleichen Jahres veröffentlichte die StiWa den Artikel "Unter Schaumschlägern" und empfahl darin unter anderem den Selbstbau-Lattenrost aus dem Baumarkt.
Seither wird im Test-Magazin der Stiftung immer wieder Bodyguard als Referenzprodukt hervorgehoben, auch wenn die Matratze in den folgenden Tests gar nicht mehr untersucht wurde. Selbst bei getesteten Boxspring-Betten durfte der Verweis nicht fehlen. Ein Umstand, den der Matratzenverband massiv kritisiert: "Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Stiftung mit staatlichem Auftrag, die satzungsgemäß zu Transparenz und Neutralität verpflichtet ist, so aktiv in den Markt eingreifen können sollte", sagt der Verband.
Den Bodyguard-Absatz beflügelt nicht zuletzt Szpyts Investition in TV-Werbung, allein im letzten Jahr sollen dies 20 Mio. Euro gewesen sein. Während der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft konnte man den kurzen, aber höchst effektiven Beiträgen von Bett1 mit dem Verweis auf den StiWa-Test kaum entgehen - das Unternehmen hatte die meisten Spots von allen geschaltet.
Bett1 ist vollständig eigenfinanziert und unterhält keine Kredite, heißt es im Geschäftsbericht 2016. Darin wird auch der Bau einer eigenen Produktion angekündigt, den Szpyt nach einem Bericht des Wirtschaftsmagazins Capital mittlerweile umgesetzt hat: "In Brandenburg baute er eine Produktion auf, die bis zu 3.000 Matratzen am Tag herstellen kann." 160 Mitarbeiter beschäftige das Unternehmen mittlerweile.
Während Bett1 wächst, sorgen sich viele andere. Vor allem das zweite Quartal hat den Mitgliedsfirmen des Matratzenverbandes die Verkaufszahlen des laufenden Jahres verhagelt, denn sowohl die Stückzahl als auch den Umsatz bezeichnet der Verband zwischen April und Juni 2018 als "stark sinkend". Die Ursachen seien vielfältig, eine simple Erklärung gebe es nicht. Aber einen weiteren Seitenhieb auf die StiWa und Bett1: "Eine Rolle spielt aber ganz gewiss, dass die Stiftung Warentest seit 2015 mit ihren Testungen und immer wieder lobenden Hervorhebungen eines einzigen Matratzenmodells den Markt verändert", glaubt man in Essen.
"Insgesamt wird wie in keiner anderen Branche die Marktmacht der Stiftung Warentest überdeutlich, die sowohl der Matratzenindustrie, dem stationären Handel als auch den Mitbewerbern ihres Testsiegers konsequent mit schlechter Presse das Leben erschwert" stellt der Matratzenverband fest. Die Auswirkungen dieser "tendenziösen und polemischen Veröffentlichungen" auf den Markt seien nicht zu unterschätzen.
Matratzen Start-up
Muun sucht Investoren
Auch ohne Bodyguard kann man leicht auf die Idee kommen, dass es zwischen Testergebnissen und Geschäftserfolg einen unmittelbaren Zusammenhang geben kann, auch in negativer Hinsicht. Der Berliner Anbieter Muun kam mit seiner Einheitsmatratze über die Note "ausreichend" bei der StiWa nicht hinaus - wobei neben den Liegeeigenschaften auch Handhabung, Deklaration und Werbungeine Rolle spielten.
Vincent Brass und Frederic Böert, die Inhaber des Matratzen-Start-ups, nahmen es sportlich und versuchten, mit witziger Werbung dagegenzuhalten - vergeblich. Mittlerweile mussten sie beim Amtsgericht Charlottenburg vorläufige Insolvenz anmelden, Insolvenzverwalter Jesko Stark soll nun mit Investoren die Rettung versuchen. Anfragen der Haustex hierzu blieben unbeantwortet.
Brass und Böert sprachen gegenüber dem Tagesspiegel von einer "intensiven Wettbewerbslage" und einer geplanten, aber gescheiterten strategischen Neuausrichtung mit einem Industriepartner: "Nach mehrmonatigen Verhandlungen sind die Verhandlungen kurz vor Unterschrift eingestellt worden." Die Gründer geben sich dennoch zuversichtlich, mit Hilfe des Insolvenzverwalters "zu einem positiven Ergebnis zu gelangen, um das nachhaltige Weiterbestehen des Unternehmens zusichern."
Eve scheitert mit
Multi-Channel-Strategie
Noch schlechter im Test-Urteil als Muun hatte seinerzeit die britische Marke Eve abgeschnitten: Die Stiftung Warentest hatte eine hohe Schadstoffbelastung angemahnt und die Eve-Matratze als mangelhaft bewertet. Von diesem Ergebnis hat sich das Unternehmen nicht mehr erholt: "Es tut uns leid, aber wir nehmen nicht länger Bestellungen für Deutschland entgegen", heißt es auf der Homepage des britischen Anbieters seit einiger Zeit lapidar - Eve ist vom deutschen Markt verschwunden.
Auslöser der schlechten Bewertung war unter anderem ein Flammschutzmittel, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Nach dem StiWa-Test wurde für den deutschen Markt deshalb ein neuer Produzent gesucht (und mit Frankenstolz auch gefunden), der ohne Brandschutzmittel produzierte. Zudem wurde eine Multi-Channel-Strategie entwickelt: Ab November 2017 wurden die Matratzen in allen 79 Karstadt-Filialen angeboten, um die Kunden dort probeliegen zu lassen. Doch das Ziel, neue Zielgruppen und Absatzwege zu erschließen, wurde offenbar deutlich verfehlt. Insgesamt soll Eve 2017 im Schnitt 275 Euro in die Gewinnung jedes Kunden investiert haben - beim mittleren Ladenpreis einer Matratze von 450 Euro.
Während Eve und Muun die Segel strichen, "wittern andere noch das große Geschäft", glaubt der Matratzenverband und fragt gleichzeitig: "Wird es das geben in einem Markt, der von seinen Zahlen und Chancen in vielen öffentlichen Statistiken einfach überschätzt wird?" Das Branchenmagazin deutsche-startups.de sprach angesichts der Entwicklungen bei Muun und Eve von einer "knallharten Konsolidierung im Matratzen-Segment" und urteilte etwas reißerisch: "Nun herrscht Endzeitstimmung in der Szene!" Zumindest trennt sich allmählich die Spreu vom Weizen.
Casper will in den
USA 200 Geschäfte eröffnen
US-Anbieter Casper etwa arbeitet mit aller Macht daran, seine Marktstellung auszubauen, hat aber ebenfalls ein neues Günstig-Modell entwickelt: "Für junge Menschen auf ihrer Reise in das Erwachsensein und zu sich selbst", wie es dazu heißt. Aktuell wird die Matratze "Essential" mit einer aufmerksamkeitsstarken Kampagne beworben, die in sozialen Netzwerken wie Facebook große Beachtung findet. Als Testimonial fungiert unter anderem Top-Model Winnie Harlow. Die 23-Jährige Kanadierin leidet unter der Weißfleckenkrankheit und erzählt im Casper-Video über die Härten des Lebens und ihre weiches Mittel gegen Stress, auf dem sie sich zuhause fühlt - perfektes Storytelling.
Das neue Modell ist etwa halb so teuer wie die Standard-Matratze von Casper, im Maß 90x200 wird sie für 245 Euro angeboten. Es dürfte auch ein Zugeständnis an die hiesigen Kunden sein, die mit dem US-Produkt nicht so gut zurechtzukommen scheinen: "Die Essential wurde eigens für die Schlafbedürfnisse der Deutschen kreiert, die härter schlafen, als der Rest der Welt", heißt es bei Casper. Die Matratze vereine zeitgenössisches Design mit hohem Schlafkomfort bei einem mittleren bis festen Härtegrad.
Auf dem US-Markt vollzieht Casper derweil eine Kurskorrektur: In den kommenden drei Jahren möchte der Matratzen-Versender dort rund 200 stationäre Geschäfte eröffnen, als Ergänzung zu seinem Online-Geschäft sowie zu bestehenden Verkaufspunkten. Ein weiterer Grund für die stationäre Expansion sollen Gerüchte über wirtschaftliche Schwierigkeiten der Kette Mattress Firm sein, die in den USA rund 3.000 Geschäfte führt und eine Tochter der insolventen Steinhoff-Gruppe ist. CEO Philip Krim erklärte gegenüber dem amerikanischen Magazin Business Insider, dass man Geschäfte jenseits des Mainstreams plane, ohne jedoch Details zu nennen. "Wir wollen eine universelle Schlafmarke werden und müssen unsere Produkte deswegen überall anbieten", so Krim.Das herkömmliche Bettengeschäft sei zum Tode verurteilt.
Während die Leerstände von Einzelhandelsgeschäften für viele Beobachter den Niedergang des stationären Handels im Online-Zeitalter markieren, wittert der Casper-Chef genau hier seine Chance: "Ein günstiger Einzelhandelsimmobilienmarkt bietet uns großartige Optionen für Standorte und flexible Mietbedingungen." Krim dürfte dabei nicht nur an die USA gedacht haben.
aus
Haustex 09/18
(Matratzen, Betten, Wasserbetten)