275 Jahre Betten Gahrmann, Ahlen

Der Tradition verpflichtet, die Zukunft im Blick


Ahlen. Im münsterländischen Ahlen liegt eines der ältesten Einzelhandelsgeschäfte Deutschlands: Vor 275 Jahren wurde Betten Gahrmann gegründet und durchlebte die Wechselfälle einer Firmengeschichte. Die heutige Inhaberin Anne Bäumer sieht sich der Tradition verpflichtet - nicht zuletzt angesichts der Mitbewerber aus dem Internet.

Dass ein Einzelhandelsgeschäft 275-jähriges Jubiläum feiert, kommt nicht alle Tage vor. Im Fall von Betten Gahrmann war dieser Geburtstag dem nordrhein-westfälischen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann ein besonderes Lob wert: "Unternehmen, wie das Ihre - und davon bin ich überzeugt - sind ein Glücksfall", erklärte der CDU-Politiker anlässlich des Festaktes, der zum Geburtstag in der Stadthalle Ahlen ausgerichtet wurde. Dort im Münsterland ist das Unternehmen seit den 1950er Jahren ansässig, seit 1982 wird es von der heutigen Inhaberfamilie Bäumer geführt.

Gegründet wurde das Geschäft 1743 in Greifswald, gleichwohl reichen seine Wurzeln zeitlich wie räumlich weiter zurück, nicht zuletzt in die Region. Denn die Geschichte von Betten Gahrmann ist auch mit der Geschichte der Woll- und Leinenhändler verknüpft, die den Handel in Westfalen und den angrenzenden Regionen bereits vor Jahrhunderten prägten. Ein Zweig der Gründerfamilie Brüggemann hatte sich im 18. Jahrhundert in Greifswald niedergelassen. Die Familie stammte aus dem Tecklenburger Land, gute 80 Kilometer von Ahlen entfernt.

Das Geschäft in Greifswald entwickelte sich gut und wurde stetig größer. Der heutige Name Gahrmann geht auf einen Neffen aus der Gründerfamilie Brüggemann zurück, der mangels eigener Nachfolger der damaligen Inhaber ins Geschäft aufgenommen wurde, das er 1875 schließlich übernahm. Es blieb in Familienhand und wird seit 1935 unter dem heutigen Namen geführt. Kriege, Könige, Diktaturen - die mehr als zwei Jahrhunderte Firmengeschichte unter wechselnden politischen Vorzeichen spiegeln eine bewegte Zeit.

Im Jahr 1953 schließlich flüchtete Firmeninhaber Bernhard Gahrmann aus der DDR in die Heimatregion seines Familienstammes und gründete kurz darauf in Ahlen unter dem Namen "Bernhard Gahrmann - Spezialhaus für Aussteuer und Betten" ein Ausstattungsfachgeschäft. Einmal noch zog er innerhalb der Stadt um, wo er in einer ehemaligen Eisenwarenhandlung in der Weststraße sein endgültiges Domizil fand. Dort befindet sich das Bettenfachgeschäft noch heute. Es ist ein Familienunternehmen geblieben, wenn auch unter neuer Inhaberschaft.

Denn 1982 übernahm der Textilkaufmann Franz-Josef Bäumer das Haus. Damit endete zwar einerseits die 240-jährige Familientradition, doch das Warenangebot des Bettenhauses blieb bestehen. Bäumer arbeitete erfolgreich, und schon bald reichten die 120 Quadratmeter Verkaufsfläche nicht mehr aus. Vier Jahre nach der Übernahme vergrößerte sich das Geschäft von Betten Gahrmann durch Um- und Ausbau auf nunmehr 300 Quadratmeter.

Weitere zehn Jahre später wurde erneut erweitert, so dass schließlich auf insgesamt 540 Quadratmetern Verkaufsfläche auch ein neues Matratzenstudio eingerichtet werden konnte. Mit mehr als 50 Metern Schaufensterfront präsentiert sich das Geschäft bis heute. "Wir haben kein Problem, uns darzustellen", freut sich Anne Bäumer. Der letzte grundlegende Umbau erfolgte 2014 unter ihrer Ägide. Sie führt das Geschäft, nachdem sie es 2007 vom Vater übernommen hat. Inhabergeführt seit nahezu drei Jahrunderten - das können nur wenige Unternehmen behaupten.

Anne Bäumer hat eine Erklärung für den lang anhaltenden Erfolg: "Sämtliche Vorgänger in der Firmengeschichte verbindet eine Gemeinsamkeit: Sie alle hatten das Gemeinwohl im Blick." Auch für die aktuelle Inhaberin gilt bis heute: "Die Gewinnmaximierung kann nicht das alleinige Ziel sein." Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter - sie alle müssten zufrieden sein und partnerschaftlich behandelt werden. "Trotzdem muss ich natürlich die eigene Kostenstruktur im Blick behalten", so Bäumer, die zwar um die Herausforderungen der Digitalisierung und des Onlinehandels weiß, doch angesichts der langen Geschichte ihres Unternehmens gelassen bleibt: "Da hat es in den letzten 275 Jahren schon ganz andere Herausforderungen gegeben."

Das Sortiment eines Fachgeschäftes müsse stets den Zeitgeist treffen, so Bäumer, "aber der Kern muss dabei erhalten bleiben." Als Kern ihres Angebotes sieht sie drei Punkte: die Konzentration auf das gesunde Schlafen, das Angebot von Bettwaren inklusive der Reinigung, sowie das modische textile Sortiment. "In allen drei Bereichen wollen wir Qualität zu fairen Preisen bieten." Nicht nur die Preistransparenz des Internets ist dabei eine Herausforderung. Die Gahrmann-Kunden schätzten und wünschten zwar den persönlichen Kontakt beim stationären Einkauf. "Damit alleine aber können wir nicht überleben", weiß die Inhaberin.

Rund 55.000 Einwohner zählt Ahlen, die gesamte Region gehört zum Einzugsgebiet von Anne Bäumer, das entsprechend werblich bearbeitet wird - ganz klassisch mit Zeitungsanzeigen und Prospektbeilagen. An der VDB-Kampagne hat sich Betten Gahrmann noch nicht beteiligt, denn bislang fehlte der Inhaberin schlicht die Zeit, sich damit näher zu befassen - ein gutes Jahr hat sich Anne Bäumer mit dem Jubiläum beschäftigt, neben der Feier wurde eine Festschrift erstellt, im Geschäft selbst dokumentieren viele Fotos die Firmengeschichte, und auch der Jubiläumsverkauf wollte vorbereitet werden. Zahlreiche Zeitungsberichte und das lokale Radio sorgten hierbei für den entsprechenden Rahmen am Standort.

Und der ist gut bestückt. Neben Möblern und Filialisten wie Concord und Bettenlager finden sich auch Fachgeschäfte in den unmittelbaren Nachbarstädten wie Hamm und Beckum. Nicht zuletzt liegt auch das stark umkämpfte Münster für mobile Kunden quasi vor der Haustüre. Anne Bäumer sieht das gleichwohl positiv: "Je größer das Angebot ist, desto stärker denken die Kunden über das Angebot nach", ist sie sicher. Bis vor zehn Jahren hatte sie sogar noch einen Mitbewerber in der unmittelbaren Nachbarschaft, nur einen Steinwurf vom eigenen Geschäft entfernt. Das ehemalige Katag-Haus wurde aber 2008 aufgegeben.

Das führte unter anderem dazu, dass Anne Bäumer ein Nachtwäsche-Sortiment aufnahm, das zuvor der Mitbewerber bot. "Es war damals fast unmöglich, in Ahlen einen Schlafanzug zu bekommen." Auch Bett- und Tischwäsche sowie Frottierwaren sind ein wichtiges Standbein, auch wenn heute kaum noch jemand von "Aussteuer" spricht - gepflegt wird das Sortiment in der Tradition der Geschäfts-Vorgänger auch weiterhin. Der gedeckte Tisch etwa, das stilvolle Essen - dieses Thema soll nicht verloren gehen. "Das hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zwar kontinuierlich zurückentwickelt, wird aber von vielen Kunden nach wie vor geschätzt", so Anne Bäumer. "Für mich ist die Frage: Haben wir die heutige Generation schon verloren, oder schaffen wir es, sie zu halten und Kunden zurückzuholen?"

Mit Dormabell und Traumina ist auch die Bettwarenabteilung bei Gahrmann gut aufgestellt. Dabei ist Anne Bäumer das Angebot des Wasch- und Reinigungsservices sehr wichtig, denn es wirkt nachhaltig in mehrfacher Hinsicht. "Wenn ich dem Kunden eine hochwertige Bettdecke verkaufen möchte, habe ich mit der Möglichkeit der Wäsche ein weiteres Argument", erklärt die Inhaberin. Wer gutes Geld investiert, freut sich schießlich über die Langlebigkeit des Produktes - und bleibt im Idealfall ein langjähriger Kunde.

Schlafsysteme und Boxspringbetten werden bei Gahrmann unter der Prämisse des gesunden, ergonomischen Schlafes angeboten. Auch hier sind die Bettenring-Produkte neben Marken wie Röwa, Rummel und Velda vertreten. Die individuelle Vermessung gehört zum täglichen Brot des Fachgeschäftes, wobei die Kunden in Ahlen lieber spontan vorbeischauen und nicht so gerne Termine vereinbaren. Bei der Qualität des Sortimentes macht Anne Bäume keine Kompromisse, One-fits-all und Co. sind für sie kein Thema: "Ich will keine Billig-Angebote verkaufen, weil ich nicht dahinter stehen kann", sagt sie.

Gleichwohl ist der Druck durch die Online-Anbieter da. "Aber was nützt mir ein Kunde, der ins Geschäft kommt und sagt: Jetzt habe ich schon bei Gahrmann gekauft, und nach zwei Jahren ist die Matratze durch." Trotzdem ist der Preisdruck da, zumal die Kunden heute mit deutlich niedrigeren Preisvorstellungen kommen als noch vor wenigen Jahren - das 199-Euro-Thema geht am Fachhandel nicht spurlos vorbei. Überzeugen durch Qualität, das ist schwerer geworden. "Aber so richtig leichte Jahre kenne ich ohnehin nicht", sagt Anne Bäumer.

Eine ermutigende Erfahrung aus der jüngeren Zeit war für sie der letzte umfassende Umbau des Geschäftes. Fußboden, Licht, Ladenbau: Vor vier Jahren wurden die Verkaufsräume unter der Regie von Innenarchitektin Silvia Leins-Bender tüchtig umgekrempelt. Das Ergebnis war nicht nur ein zeitgemäßer stationärer Auftritt, sondern auch ein Zuwachs an Neukunden, sowohl aus der jüngeren Zielgruppe als auch im Bereich der gut situierten Zielgruppe zwischen 40 und 50 Jahren, der typischen Fachhandels-Klientel.

Bei allem Erfolg bewegen Anne Bäumer trotzdem Fragen, die sowohl mit der generellen Veränderung der Handelslandschaft zu tun haben als auch mit den Einkaufsgewohnheiten der Kunden. Wie sieht das Fachgeschäft der Zukunft aus, welche Größenordnung kann und muss es haben? Und wie kommen die Menschen dort hin? "Die Frequenzen werden nicht zunehmen", ist die Inhaberin sicher. Und fragt mit Blick auf ihre Kunden, die nicht selten doppelt verdienende Ehepaare mit dem Zeitbudget von Berufstätigen mit Familie sind: "Kann es sein, dass wir künftig öffnen müssen, wenn unsere Kundschaft frei hat?"

Mit einer 275-jährigen Geschichte im Rücken stellen sich solche Fragen vielleicht besonders eindringlich, da Tradition verpflichtet. Anne Bäumer wirkt allerdings nicht so, als würde sie die Geschichte ihres Unternehmens als Last empfinden. In den Stolz auf das Jubiläum mischt sich eher die nüchterne Erkenntnis, dass der Erfolg darauf beruht, sich immer wieder auf die unternehmerischen Kernkompetenzen und bewährte kaufmännische Prinzipien besonnen zu haben: "Wir werden auch in Zukunft weiter daran arbeiten, die Marke Betten Gahrmann im Bewusstsein der Menschen zu verankern."
aus Haustex 10/18 (Handel)