Digitaldruck – Eine Bestandsaufnahme
Der Digitaldruck wird die Branche verändern: die Produkte und die Firmen - die Hersteller und den Handel. Er schafft neue Möglichkeiten, aber auch neue Wettbewerber. Wir haben uns umgehört, nach Chancen und Grenzen gefragt und uns die Kollektionen zeigen lassen. Designs ohne Limitierung, individuelle Gestaltung nach Kundenwunsch, Losgröße 1, kaum Umrüstzeiten, sinkende Produktions- und Lagerkosten - das sind die fünf vielleicht wichtigsten Vorteile, mit denen für den Digitaldruck geworben wird. Sie alle haben ihre Berechtigung, darin sind sich die Vertreter der Branche weitgehend einig, die wir zum Thema befragt haben.
So stellt Imke Röwer, Geschäftsführerin bei Sonnenschutzhersteller Büscher fest: "Noch vor gar nicht allzu langer Zeit konnte nur in einem aufwändigen Prozess, nach Anfertigung von kostenintensiven Schablonen, in Verbindung mit hohen Auflagen an Laufmetern bedruckt werden. Der Digitaldruck macht es möglich, individuelle Dessins in einem einfachen Verfahren qualitativ hochwertig auf ausgesuchte Textilien zu drucken." Sie sieht das auch als Vorteil, weil sich die Trends in der Einrichtungswelt heute schneller wandeln als früher. Mit dem Digitaldruck ist die Industrie dichter dran an den wechselnden Wünschen der Verbraucher.
Der Hersteller
wird zum Dienstleister
Das bietet auch dem Fachhandel Vorteile. "Indem er seinen Kunden maßgeschneiderte Lösungen für die Raumgestaltung anbietet, kann er sich von der Großfläche abheben", meint Thomas Biebusch, Geschäftsführer beim Bodenbelagshersteller KWG. Allerdings entsteht Handel und Industrie je nach Produkt auch neue Konkurrenz: "E-Commerce Firmen und Online-Druckereien bereiten sich auf den Eintritt in die Welt der Heimtextilien vor und haben neue vertikale Vertriebssysteme mit web-to-print im Internet bereits etabliert", mahnt Joachim Rees. Unabhängig davon ist der Inhaber des Maschinenherstellers Multi-Plot Grafiksysteme zumindest für das Segment Sonnenschutz überzeugt: "Was digital sein kann, wird digital werden."
Die Möglichkeiten zur Individualisierung bedeuten aber auch ein neues Verhältnis von Hersteller und Kunde. "Vorher war man gewohnt, eigene Motive am Markt anzubieten und auf Lager zu nehmen. Der Digitaldruck bietet die Möglichkeit, gemeinsam mit Kunden deren individuellen Vorstellungen umzusetzen. Sie bestimmen, was auf die Maschine kommt", beschreibt Michael Caspar die Veränderung, welche er selbst als fundamental bezeichnet. Der geschäftsführende Gesellschafter des Tapetenherstellers Caspar sieht sein Unternehmen heute "als Dienstleister, der Kunden hilft, eigene Ideen, Motive und Konzepte in Wandgestaltung zu übersetzen".
Technisch
anspruchsvolles Verfahren
Digitaldruck ist demnach eine feine Sache. Aber bei aller Euphorie um das Thema: Die neue Technologie hat (noch) ihre Tücken. Beim Digitaldruck-Roundtable des SN-Verlages für die Bodenbelags- und Holzwerkstoffindustrie (siehe BTH Heimtex 10/18) klang schon an, dass es durchaus Problemfelder gibt. Dort war die Rede von technischen Hürden, die erst überwunden werden müssen, um die Potenziale des Digitaldrucks voll ausschöpfen zu können. Der Aufwand, um eine hohe Druckqualität zu erreichen, zu halten und zu reproduzieren, ist zumindest für diesen Industriezweig noch sehr groß. Digitaldruck ist ein technisch anspruchsvolles Verfahren.
Für das digitale Bedrucken von Stoffen gibt die Textilingenieurin Heidrun Stürmer zu bedenken: "Während feine, florale Konturen und viele Farben kein Problem darstellen, ist ein vollflächiger, einfarbiger Druck oder ein Design mit geometrischen Formen problematisch." Und auch auf die Eigenschaften des Stoffes kann das digitale Bedrucken Auswirkungen haben: "Wenn ein schwer entflammbares Gewebe direkt bedruckt wird, kommen mit dem Farbstoff die Begleitsubstanzen auf das Gewebe - im schlimmsten Fall entsteht ein nicht mehr schwer entflammbares Endprodukt", warnt Stephan Ruholl. "Ich wundere mich nicht mehr, wenn mit Lösemitteltinten bedruckte Gewebe im Markt auftauchen, die dazu gehörige Brandprüfung sich jedoch nur auf die Rohware bezieht", so der Geschäftsführer von Schmitz Textiles.
Digitaldruck ist
nur ein Element im Herstellungsprozess
Die Vorstellung, dass per Knopfdruck jedes beliebige Dekor auf jeden beliebigen Werkstoff gebracht werden kann, ist also falsch. Man braucht viel Know how, um die Druckvorlage zu erstellen, geeignete Materialien auszuwählen, die Maschinen richtig einzustellen etc. Und in der Regel ist der Druck ja nur ein Schritt im Herstellungsverfahren, den man mit den übrigen abstimmen muss, damit das Endergebnis den Erwartungen entspricht. Von der Software über die Maschinen bis zum bedruckten Material muss alles stimmen. Auch die Mitarbeiter müssen mit der neuen Technik erst vertraut gemacht werden.
Wer das alles im Griff hat, bekommt nach Überzeugung von Thorsten Beinke ein Mittel an die Hand, um sich abzugrenzen: "Design und Individualisierung ,just in time’ ist sicherlich nicht das einfachste Geschäftsmodell, aber wahrscheinlich die richtige Reaktion auf häufig preisagressive Konkurrenten, deren Produkte über den Seeweg kommen müssen", glaubt der Senior Design Manager bei Bodenbelagshersteller Tarkett fest.
Auch deshalb wird in Zukunft der Digitaldruck ein wichtiges Element in unserer Branche sein. Das zeigen die folgenden Gastbeiträge und Interviews. Nach derzeitigem Stand wird er die herkömmlichen Produktionsverfahren nicht ersetzen, sondern ergänzen bzw. je nach Produkt in Kombination mit den bereits existierenden Technologien neue Möglichkeiten eröffnen. Schon heute gibt es viele spannende Kollektionen, die wir Ihnen ab Seite 49 vorstellen.
thomas.pfnorr@snfachpresse.de
aus
BTH Heimtex 11/18
(Handel)