Aserbaidschans Teppichknüpf-Traditionen neu entdeckt


Geschmiegt in die Landschaft zwischen Kaukasus und dem Kaspischen Meer liegt - Aserbaidschan. Das Land ist reich an Öl und Erdgas, sie machen den Großteil der lokalen Wirtschaft aus. Und die wächst seit Beginn des Jahrtausends rasant.

Doch Aserbaidschan blickt auch auf eine lange Tradition der Teppichherstellung zurück, welche die letzten Jahrzehnte im Dornröschenschlaf verbrachte. Nun wird das alte Handwerk wachgeküsst: 2.000 Menschen arbeiten heute wieder in der Teppichproduktion, die Zahl wird Schätzungen zufolge in den kommenden drei Jahren auf 4.000 ansteigen. Vor allem Frauen in ländlichen Gegenden arbeiten in der Branche.
Teppichherstellung in Aserbaidschan - die Geschichte im Überblick

Als älteste bekannte Teppiche Aserbaidschans gelten die so genannten kaukasischen Drachenteppiche, die frühesten bekannten Exemplare stammen aus dem 16. Jahrhundert. Die kommerzielle Teppichproduktion in Heimarbeit und Werkstätten nahmen die Aserbaidschaner (Aseris) jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts, in den 1850er- und 1860er-Jahren, auf, als die Herstellung von Teppichen wegen des großen Interesses aus westlichen Ländern zunehmend industrialisiert wurde. Doch blieben Weber und Hersteller ihren Traditionen treu: Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nutzten sie ausschließlich natürliche Pflanzenfarben, obwohl synthetische Farben schon seit der Jahrhundertmitte auf dem Markt waren.

Nach der Gründung der UdSSR verdrängten urbane Stilvorstellungen zunehmend die nomadischen und dörflichen Traditionen der Teppichkunst. Die Muster wurden präzise, Pflanzenfarben und handgesponnene Wolle wichen Synthetik-Färbemitteln und maschinengefertigten Garnen. Auch der Zweig der Maschinenweb-Teppiche entstand in der Sowjetzeit, vor allem in der Region um Ganja.

Nach dem Ende der UdSSR 1991 - als Aserbaidschan zum zweiten Mal seit 1918 seine Unabhängigkeit erklärte - belebten Unternehmer (vor allem der Teppich-Anbieter Azer-Ilme) den Sektor handgefertigter Teppiche neu, zusammen mit regierungsgeförderten Teppichproduktionsorganisationen aus der Sowjetzeit, wie Azerkhalcha Scientific und der Creative Production Association (beide nicht mit dem heutigen Azerkhalcha-Projekt identisch).

Heute bestehen kleine Werkstätten vor allem in Guba, Schirwan und Baku. Der Anteil der in Heimarbeit gefertigten Teppiche ist dabei dramatisch auf unter 5 % gesunken. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatte solche Ware noch 70 bis 80 % der aserbaidschanischen Teppichproduktion ausgemacht.

Teppich-Design - und die Geografie

Der Blick auf Aserbaidschans geografische Lage und Landschaft zeigt: die Teppiche mit der geringsten Florhöhe stammen aus den weniger gebirgigen Gegenden um Schirwan, Guba und Baku; sie haben eine höhere Knotendichte und sehr viel aufwendigere Muster. In den Gebirgsregionen Karabach und Kasak-Bortschali ist der Flor dagegen höher, die Knotendichte geringer. Speziell in der Kasak-Bortschali-Region finden sich wuchtigere, offenere Muster im Feld. Da Karabach an den Nordwesten Persiens grenzt, machen sich hier nordpersische Einflüsse bemerkbar, die Designs sind insgesamt komplexer als jene aus der Region Kasak-Bortschali.

Der höchste Flor und die geringste Knotendichte finden sich in der Gegend um Zagatala, in den höheren Lagen des Kleinen Kaukasus: im Gebirge hielten Teppiche mit dickerem Flor das Haus besser warm.
Nomaden lebten vor allem entlang der Moghansteppe zwischen dem heutigen Nordwestiran und Karabach; so stammen die flachgewebten Textilien vor allem aus dieser Gegend, vor allem jene, die dem Transport von Gegenständen dienten, wie Khourdjins (Satteltaschen) und Mafraschs (Bettzeugtaschen), Kelims, Jajims, Vernehs, Zilehs und Palas. Nomaden beförderten mit Hilfe solcher Textilien ihr Hab und Gut von den tiefer liegenden Weiden ins Gebirge und nutzten sie zudem als Zeltschmuck.

Aserbaidschans Knüpf-Regionen

Die wichtigsten aserbaidschanischen Knüpf-Provenienzen sind Karabach, Kasak, Bortschali, Schirwan und Guba; in Zagatala besteht aktuell keine Teppichfertigung.
Das öffentlich geförderte Unternehmen Azerkhalcha OJSC engagiert sich in Karabach, Kasak, Schirwan und Guba; in Kasak und Karabach ist es der größte Produzent und fertigt Teppiche in typischer Lokaltradition. Neben Azerkhalcha OJSC sind auch Privatunternehmen und Heimwerkstätten in Karabach, Kasak (Kasak, Tovus und Astafa) und Guba (Guba, Khachmaz, abran) aktiv. Die Region Schirwan hat Azerkhalcha-Werkstätten in Gabala und Ismayilli, außerdem finden sich Produktionsstätten privater Eigentümer sowie Heimwerkstätten in den Distrikten Gabala, Ismayilli, amax und Kürdemir. Die meisten Teppiche aus Schirwan und Guba folgen der Tradition - sie sind typisch für ihre Herkunftsregionen.

Die Landesregionen und
ihre Eigenheiten

Die verschiedenen Gebiete unterscheiden sich in ihrer Landschaft, der Pflanzenwelt, der Qualität ihrer Wolle, den Designs, im Farbenspiel, in den religiösen Vorstellungen und der ethnischen Zusammensetzung ihrer Bevölkerung. So stammen aserbaidschanische Bildteppiche meist aus Karabagh und Schirwan, wo schiitische Muslime leben. Die Sunniten in Kasak-Bortschali vermeiden dagegen, menschliche Gestalten oder Tiere auf ihren Teppichen ins Bild zu setzen: Der sunnitische Glaube verbietet solche bildlichen Darstellungen streng - die Schiiten sind in dieser Hinsicht flexibler.

Wie erwähnt, unterscheiden sich Teppiche aus dem Gebirge einerseits und dem Flachland andererseits in Florhöhe und Knotendichte.

Was aber alle Teppiche Aserbaidschans gemein haben, sind die geometrischen und symmetrischen Muster. Florale und All-over-Designs finden sich fast ausschließlich auf Teppichen aus Karabagh, das direkt an Nordwestiran grenzt.•
aus Carpet Magazin 04/18 (Teppiche)