Interview mit Orientteppichbuch-Autor Jim Ford

Die Design-Revolution im persischen Teppich


Im neu erschienen Fachbuch "The Persian Carpet Tradition" gibt Jim Ford Einblicke in die Entwicklung des Teppichdesigns der letzten 600 Jahre. Der Autor ist ein ausgewiesener Experte für Orientteppichmuster. Sein Buch "Der Orientteppich und seine Muster" wurde in mehrere Sprachen übersetzt und gehört zu den meistverkauften Teppichbüchern überhaupt. Sechs Jahre intensiver Arbeit flossen in die Umsetzung des neuen Buches, die ersten Recherchen begannen schon vor über 30 Jahren. Carpet! Magazine sprach mit Jim Ford über die große Designrevolution des 15. Jahrhunderts und deren Bedeutung für weitere Musterentwicklung bis heute.

Carpet! Magazine: Ihr Buch "The Persian Carpet Tradition" beschreibt, wie sich die Muster der Orientteppiche in den letzten 600 Jahren entwickelt haben. Was geschah im 15. Jahrhundert, das das Teppichdesign bis heute maßgeblich beeinflusst hat?

Jim Ford: Die Antwort auf diese Frage nimmt einen großen Teil des Buches ein, da man zuallererst noch weiter in die Vergangenheit schauen muss. Es ist wichtig zu wissen, welche Teppiche es im Mittelalter gab, wie also Teppiche im Jahr 1000 oder 1300 gestaltet waren. Mit dem Wissensstand von heute hatten damals alle Teppiche ein von Bodenfliesen oder Mosaiken inspiriertes Allover-Muster (Anm. der Red.: siehe Abb. 1). Das heißt nicht, dass sie immer ein sich wiederholendes geometrisches Muster hatten, sie können auch Tierabbildungen gezeigt haben oder Inschriften. Es geht um den grundsätzlichen Aufbau, der sich an den von Fußböden anlehnte. Das erste Kapitel des Buches zeigt hier viele Beispiele.

Carpet! Magazine: Und dieser Musteraufbau änderte sich dann im 15. Jahrhundert?

Ford: Ganz genau. Einen ersten Hinweis gibt es aus dem Jahr 1410. In diesem Jahr erschien in Schiras eine Handschrift, deren Frontispiz eine Zeichnung abbildet, die stark an einen Medaillon-Teppich erinnert. Es ist mir nicht bekannt, wie es dazu kam, dass diese Zeichnung - oder eine vergleichbare - später als Teppich umgesetzt wurde. Ich bin aber überzeugt davon, dass es sich hierbei um die Inspirationsquelle für eine neue Art von Teppichen handelte, den Medaillon-Teppichen. Ab 1444 erscheinen in den Handschriften Abbildungen von Teppichen mit Medaillon und floraler Feldmusterung. Alle Teppiche, die als Vorlage für diese Miniaturmalereien gedient haben müssen, sind verschollen. Wie sie also genau ausgesehen haben, wissen wir nicht. Aber im Jahre 1459 erschien - wiederum in Schiras - eine Handschrift mit einem Titelbild, das alle Designelemente hatte, die wir aus den Teppichen des 15. Jahrhunderts kennen, die uns vorliegen. Die Zeichnung hat eine In-and-Out-Bordüre, und das Innenfeld verfügt über fein durchlaufend gezeichnete Arabesken. Besonders auffällig bei dieser Zeichnung ist das zentrale Medaillon, das sich vom Fond abhebt. Es folgte das, was viele als Revolution im Teppichdesign bezeichnen und was (Anm. der Red.: siehe Abb. 2) auch den Kern meines neuen Buches ausmacht.

Carpet! Magazine: Diese sogenannte Designrevolution wurde auch schon in anderen Büchern behandelt. Was kann der Leser in "The Persian Carpet Tradition" denn Neues über die Teppiche dieser Zeit lernen?

Jim Ford: Bis heute nahm sich kein Teppichfachbuch so intensiv diesem Thema an. Zwar wird diese Revolution im Teppichdesign hin und wieder angesprochen. Es fanden sich aber immer nur sehr wenige Abbildungen von Teppichen aus dieser Epoche, und diese waren oft nur in Schwarz-Weiß. Dabei sind etwa 80 Teppiche dieser Gattung aus dem 15. und 16. Jahrhundert bis heute erhalten geblieben. Es war mir wichtig, sie alle farbig in bestmöglicher Qualität abzubilden. Und bis auf ganz wenige Ausnahmen ist das auch gelungen. Es freut mich, sagen zu können, dass kein anderes Buch so detailliert auf diese Teppiche eingeht und diese auch großformatig und mit vielen Detailansichten abbildet. Es ist dem Leser deshalb möglich, das revolutionäre Design der Teppiche des 15. Jahrhunderts im Detail zu studieren, um so die Bedeutung für die Musterentwicklung nachvollziehen zu können.

Carpet! Magazine: Über was für einen Zeitraum erstreckte sich denn diese Revolution?

Ford: Sehr lange. Die erste Abbildung in der Miniaturmalerei stammt aus dem Jahre 1444. Von den erhaltenen Medaillon-Teppichen sind einige wohl erst im 17. Jahrhundert entstanden. Es ist auch wichtig zu wissen, dass die modische Entwicklung am Hofe nicht von der breiten Bevölkerung mitvollzogen wurde. Es ist davon auszugehen, dass es einige Generationen gedauert hat, bis sich der Medaillon-Teppich auch bei der Landbevölkerung durchgesetzt hat. Gesicherte Aussagen dazu kann man aber nicht treffen. Interessant ist übrigens auch, dass die 80 erwähnten Teppiche alle aus Wolle, mit einer Knotenzahl von 2.000-3.000 per dm2, geknüpft sind. Die Teppiche, die Reisende am kaiserlichen Hof gesehen haben, sollen aber aus Seide gewesen sein und mit geschätzten 8.000 bis 10.000 Knoten / m2 auch sehr fein. Alle Experten sind daher der Meinung, dass es sich bei den erhalten gebliebenen Teppichen um kommerzielle Manufakturteppiche handelt, die nicht für den Hof in der Hauptstadt Tabris bestimmt waren.

Carpet! Magazine: Welchen Verlauf nahm dann die Ausbreitung des Medaillon-Teppichs?

Ford: Es war schon damals so, dass neue und beliebte Designs schnell kopiert wurden. Die ersten Kopien stammten wohl von weniger versierten persischen Manufakturen, sie wirken entsprechend gröber. Dann breitete sich der Medaillon-Teppich erst im ganzen Land aus und sehr bald auch bei den Nachbarn in Indien und der Türkei. Ein großer Teil des Buches beschreibt, wie sich der Medaillon-Teppich nach und nach in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Knüpfländern etabliert hat. Das Buch zeigt, wie die persischen Knüpfer es verstanden haben, Designs weiterzuentwickeln (Anm. der Red.: siehe Abb. 3). So sind die Teppiche von heute nicht mehr direkt vergleichbar mit denen aus dem 15. Jahrhundert. Aber: Sie stammen von diesen Teppichen ab, das Muster lässt sich eindeutig zurückverfolgen. So unterschiedlich die Teppiche auch sind. •
aus Carpet! 03/19 (Teppiche)