Matratzen-Recycling: Der schwere Weg zur Entsorgung
Hamburg. Die Zahl ist gewaltig: Jedes Jahr wandern in Europa 30 Millionen Matratzen auf den Müll, etwa sieben Millionen davon in Deutschland. Entsorgt werden sie über den Sperrmüll, den Wertstoffhof oder den Bettenfachhandel, der beim Kauf einer neuen Matratze die alte abnimmt. Doch was passiert dann?
Recycling ist ein schwieriges Thema. Genau hier erwarten Verbraucher in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels zu mehr Nachhaltigkeit Veränderungen. Auch die Industrie hat das erkannt und sucht nach Lösungen.
Etwa alle zehn Jahre tauschen die Deutschen ihre Matratze aus. Beim Kauf einer neuen steht natürlich der Schlafkomfort im Fokus. Immer mehr Verbraucher legen aber auch großen Wert auf Nachhaltigkeit. Umfragen zufolge sind mehr als zwei Drittel der Konsumenten bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen.
Im Gegenzug wünschen sie sich Transparenz: Sie wollen nachvollziehen können, wo und unter welchen Bedingungen produziert wurde, woher die Rohmaterialien stammen und wie die Arbeitsbedingungen und Löhne in der Produktionskette sind. Dazu sollen die verwendeten Materialien recycelbar und umweltfreundlich sein.
Die Realität sieht derzeit anders aus. Die Vielfalt am Matratzenmarkt ist groß: Zu Kaltschaum- und Federkernmatratzen gesellen sich zahllose Varianten, die Materialien mischen, um die Liegequalität zu verbessern. Was nötig ist, um die individuellen Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen, erweist sich unter dem Nachhaltigkeitsaspekt als problematisch.
Zwar enthalten die einzelnen Matratzen oft Stoffe, die problemlos wiederverwertbar wären. Dazu zählen etwa die Stahlfedern aus Feder- und Taschenfederkernmatratzen, die eingeschmolzen werden können, oder Schäume aus Latex und Polyurethan, die sich unter anderem zu Dämmmaterial verarbeiten lassen "Das Problem ist, dass die einzelnen Teile einer Matratze in der Regel so eng miteinander verbunden beziehungsweise verklebt sind, dass eine Trennung entweder nicht möglich ist oder der Energieaufwand zu hoch ist", beschreibt Claudia Wieland vom Fachverband Matratzen-Industrie das Problem.
Das Ergebnis: Bislang landet der Großteil der ausrangierten Matratzen in der thermischen Verwertung, das heißt, sie werden verbrannt und die dadurch entstehende Hitze zur Wärmeversorgung oder Stromerzeugung genutzt.
Ein Wandel ist jedoch in Sicht - sowohl auf europäischer als auch auf Bundesebene. Ein aktueller Bericht der Europäischen Kommission zur Umsetzung des Kreislaufwirtschaftspakets macht deutlich, dass künftig immer mehr Wirtschaftszweige in den Aktionsplan einbezogen werden sollen, darunter ausdrücklich auch Möbel und Textilien. Inhaltlich reichen die Pläne von einer Ausweitung der Ökodesign-Politik über strengere Maßnahmen zur Abfallvermeidung bis zu genauen Zielvorgaben für die Vorbereitung zur Wiederverwendung und das Recycling.
Zudem hat das Bundesumweltministerium im August einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der neuen EU-Abfallrahmenrichtlinien in Deutschland veröffentlicht, der spätestens im Juli 2020 rechtswirksam werden soll. Darin festgeschrieben ist unter anderem eine Verschärfung der Recycling-Quoten für Siedlungsabfälle, zu denen auch Matratzen zählen. Außerdem wird die Produktverantwortung in den Fokus gerückt, die Hersteller auffordert, der Entstehung von Abfällen bereits bei der Produktion vorzubeugen.
Auf Hersteller- und Verbandsseite ist das Signal angekommen. "Wir werden unsere Aktivitäten weiter intensivieren, um rechtzeitig sinnvolle Maßnahmen vorschlagen und umsetzen zu können", so Claudia Wieland. Um proaktiv Lösungen hin zur Schließung des Kreislaufs zu erarbeiten, hat der Matratzenverband das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie mit einer Studie beauftragt. Das gemeinnützige Forschungsinstitut sollte die Materialien für Matratzen hinsichtlich ihrer ökologischen Auswirkungen bei der Herstellung und Wiederverwertung untersuchen.
Im Fokus stand die Frage, für welche Materialien von Matratzen welche Möglichkeiten der Verwertung bestehen und daraus folgend, unter welchen Voraussetzungen eine thermische oder eine stoffliche Verwertung vorzuziehen sei. Dafür identifizierten die Wissenschaftler unter Leitung von Jens Teubler zunächst alle relevanten Materialien und nahmen dann unter die Lupe, wie deren unterschiedliche Verwertungswege sich auf Emissionen, Energieverbrauch und natürliche Ressourcen auswirken.
Als Fazit ihrer Untersuchungen stellen die Wissenschaftler zunächst einmal fest, dass ein hundertprozentiges Recycling von Matratzen nicht möglich ist. "Selbst bei der Wiederverwertung von Stahl in Stahlfederkernen - ein Material mit sehr hohen Recyclingraten - gibt es Abfälle, die nicht zurückgeführt werden können", nennt Jens Teubler ein Beispiel. Ein Teil der Matratze werde also immer verbrannt oder zumindest deponiert.
Um darüber hinaus aber eine möglichst ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft zu etablieren, empfiehlt der Wissenschaftler eine Zusammenarbeit aller Akteure entlang der Wertschöpfungskette. "Die Branche muss schon beim Ökodesign ansetzen", erklärt auch Claudia Wieland vom Matratzenverband. Neben dem Verzicht auf komplexe Materialverbünde seien auch die Qualität, die Kennzeichnung und die Trennbarkeit von Materialien relevant.
Nächster Punkt: Die Entsorgungswege bedürfen dringend einer Modernisierung. "Liegt sie erst mal eine Nacht mit anderem Sperrmüll bei Regen auf der Straße, taugt auch die beste Matratze höchstens noch für die Verbrennung", gibt Claudia Wieland zu bedenken. Abhilfe schaffen könnten hier zum Beispiel zentrale, eventuell kommunale Sammelsysteme, bei deren Realisierung auch der örtliche Bettenfachhandel gefragt ist.
Uns schließlich gelte es, den Verbraucher zu sensibilisieren und über die Wichtigkeit der korrekten Entsorgung seiner alten Matratze aufzuklären. In enger Zusammenarbeit könne so ein Wandel gestaltet werden, der ökologisch und ökonomisch sei - natürlich ohne den Schlafkomfort zu mindern.
Abfallrecht: Das plant der Gesetzgeber
Im August 2019 hat das Bundesumweltministerium den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie der Europäischen Union veröffentlicht. Darin wird insbesondere das Kreislaufwirtschaftsgesetz als Basis des deutschen Abfallrechts grundlegend überarbeitet. Betroffen von den Veränderungen sind unter anderem Hersteller, Vertreiber und Lieferanten. Inhaltlich liegen die Schwerpunkte in
•einem Ausbau der Abfallvermeidung
•einer Verstärkung des Recyclings
•der verbesserten Schließung von Kreisläufen
Für die Möbelindustrie relevante Maßnahmen sind
•eine Fortschreibung und Erhöhung der Quoten für die Vorbereitung zur Wiederverwertung sowie das Recycling unter anderem von Siedlungsabfällen, zu denen auch Sperrmüll, einschließlich Matratzen und Möbel zählen
•eine Ausweitung der Produktverantwortung: "Erzeugnisse sind möglichst so zu gestalten, dass bei ihrer Herstellung und ihrem Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und sichergestellt ist, dass die nach ihrem Gebrauch entstandenen Abfälle umweltverträglich verwertet oder beseitigt werden. Bei einem Vertrieb der Erzeugnisse ist dafür zu sorgen, dass deren Gebrauchstauglichkeit erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden."
Das Gesetzgebungsverfahren soll bis zum 5. Juli 2020 abgeschlossen sein.
So lassen sich Matratzen besser verwerten
Das Verbrennen typischer Matratzenteile ist nach Erkenntnissen des Wuppertal Instituts derzeit häufig noch ökologisch sinnvoller. Die Gründe dafür sind:
•Die meisten Matratzensysteme sind noch nicht auf die Trennung und Sortierung von Materialien ausgelegt.
•Die Abfallverwertung in Müllverbrennungsanlagen stellt derzeit noch den ökonomischen Standard für Kommunen dar.
•Es existieren keine offenen Stoffkreisläufe.
•Produktionssysteme, in denen die rezyklierten Stoffe verwendet werden können fehlen.
•Es gibt nicht genügend Recycling-Unternehmen beziehungsweise die Recyclingverfahren sind für die Unternehmen nicht ökonomisch genug.
Diese Maßnahmen müssen in Zusammenarbeit von Industrie, Abfallverwertung, Gewerbe, Kommunen und Gesetzgeber erfüllt werden, um die Wiederverwertungsmöglichkeiten von alten Matratzen zu steigern:
•Einheitliche Kennzeichnung und Erfassung der eingesetzten Stoffe.
•Steigerung der Trennbarkeit und Sortierbarkeit.
•Etablierung offener Stoffkreisläufe für Massenkunststoffe und Textilien.
•Förderung des Technikstandes vor allem bei chemischen Recyclingverfahren.
•Verbesserung der Einsatzmöglichkeiten der Rezyklate.
aus
Haustex 12/19
(Nachhaltigkeit)