Die Preisfalle - ein Problem für Handel und Industrie
Es ist ein Irrglaube, dass speziell der Handel grundsätzlich an Preisen auf niedrigstem Niveau interessiert ist
Die Holzhandels-Kooperation Holzring und die Copa pflegen nicht nur guten Kontakt miteinander und haben zudem mit den Großhandelshäusern Fries, Jordan und Geiger drei Doppel-Mitglieder, sondern kämpfen im Markt auch mit den gleichen Problemen - etwa der unsinnigen Niedrigpreis-Forcierung, die auf die Erträge bei Industrie und Handel drückt. Holzring-Gesellschafter Olaf Rützel fordert alle Marktteilnehmer auf, den unökonomischen Preiskampf zu stoppen und stattdessen auf eine differenzierte Preispolitik zu setzen - zum Wohle aller.
Während eines Symposiums wurde von Handel und Industrie auch das aktuelle Bankenrating für die Holzwerkstoffindustrie diskutiert, das der Branche Wachstumsschwäche, mangelnde Ertragskraft und eine schwierige Wettbewerbsposition bescheinigt. Es wurde deutlich, dass es offensichtlich nicht gelingt, sowohl in der Industrie als auch im Handel ein Preis- und Ertragsniveau herzustellen, das für alle Beteiligten auskömmlich ist.
Ganz im Gegenteil: Die Vertreter der Industrie klagen über Preise, die nicht kostendeckend sind und der Handel bemängelt, dass speziell mit vielen Produkten der Hersteller keine ausreichende Handelsspanne zu erwirtschaften ist. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, ob es Auswege aus dieser unbefriedigenden Situation gibt.
Ein branchenübergreifendes Ertragsproblem, wie es sich hier am Beispiel der Massenprodukte der Holzwerkstoffindustrie darstellt, lässt sich allerdings auch nach Belieben auf andere Produktbereiche übertragen. Auch im Segment Bodenbeläge, um ein weiteres Beispiel zu nennen, gibt es Unzufriedenheit sowohl auf der Hersteller- als auch auf der Handelsseite mit der Ertragssituation.
Nun kann man ein Ertragsproblem natürlich grundsätzlich erst einmal von der Kostenseite angehen. Die Kostensenkungspotenziale sind jedoch nach diversen Phasen der Optimierungen und Reorganisationen in den Unternehmen sowohl im Handel als auch in der Industrie zu einem großen Teil ausgeschöpft. Die empirische Gesetzmäßigkeit der Erfahrungskurve, dass mit jeder Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge die auf die Wertschöpfung bezogenen (Grenz-) Stückkosten um einen bestimmten Prozentsatz sinken, ist speziell der Industrie zu Gute gekommen. Zu einer nachhaltigen Besserung der Situation hat sie allerdings nicht geführt.
Es ist unbestritten, dass permanent die Effizienz der Arbeitsabläufe verbessert, die Produktivität gesteigert und Kostensenkungspotenziale realisiert werden müssen - das allein reicht aber wohl für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens nicht aus. Mindestens gleichbedeutend - wenn nicht gar wichtiger - scheint es, die Preispolitik auf den Prüfstand zu stellen, also alle Entscheidungen des Unternehmens, die mit der Festlegung von Konditonen für Unternehmensleistungen im Zusammenhang stehen.
Die Industrie und auch der Handel haben sich in einigen Bereichen in eine Preisfalle hinein manövriert, aus der nur schwer wieder herauszukommen ist. Durch immer neue Kapazitäten, die teilweise die Nachfrage übersteigen, werden gerade wieder aktuell die Regeln der Preis-/Absatzfunktion (je höher die Absatzmenge, desto geringer der Preis) bestätigt. Die Effekte der Preiselastizität (das Verhältnis zwischen einer relativen Änderung des Preises und der dadurch bewirkten relativen Änderung der Nachfragemenge) werden sowohl vom Handel als auch von der Industrie tagtäglich aufs Neue ausprobiert.
Global betrachtet sind die Ergebnisse jedoch mehr als zweifelhaft. Durch eine Reduzierung des Preises schafft man in gesättigten Märkten nicht mehr Nachfrage, sondern reduziert am Ende des Tages das Preis- und Ertragsniveau im gesamten Markt und ist als Konsequenz auch benachteiligt, zumal die Wettbewerber, wenn sie es denn können, diesem Treiben nicht tatenlos gegenüber stehen. Speziell bei austauschbaren, standardisierten Produkten wird der Preis zum einzigen verkäuferischen Mittel.
In den Bilanzen des Händlers, aber auch in denen der Industrie hinterlässt dies tiefe Spuren, falls der Lagerdurchschnittswert zum Bewertungsstichtag höher liegt, als der gerade aufgrund eines momentanen Mengendrucks gültige Marktpreis. Nach Niedrigstwertprinzip muss dann der jeweils niedrigere Preis für die Bewertung angesetzt werden und verursacht dadurch eine - zumindest bilanzielle - stichtagsbezogene Kapitalvernichtung, die das Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten führen kann.
Es ist vielleicht ein Irrglaube, dass speziell der Handel grundsätzlich an Preisen auf niedrigstem Niveau interessiert ist. Ganz im Gegenteil: Gerade auf Basis des im Handel gängigen Verfahrens der Zuschlagskalkulation, in dem der Selbstkostenpreis die Basis darstellt, führt ein höherer Einkaufspreis zu einer besseren Marge. Voraussetzung ist natürlich, dass der kalkulierte Verkaufspreis marktgerecht ist und Geschäfte auf der Basis realisiert werden können. Existenzbedrohend sind die drastischen Preissprünge, die gerade in jüngster Vergangenheit von Seiten der Holzwerkstoffindustrie zu beobachten waren. Gerade im Großhandel, in dem die Lagerfunktion zum Selbstverständnis gehört, hat Preiskontinuität auf der Beschaffungsseite eine überragende Bedeutung.
Es ist notwendig, dass Industrie und Handel gemeinsam zu einem neuen Preisverständnis, zu einer neuen Preiskultur kommen. Wohl bemerkt, hier ist nicht die Rede davon, dass sich der eine Teil der Wertschöpfungskette zu Lasten des anderen bereichert. Hier geht es um eine Erhöhung des gemeinsamen Ertragsniveaus, von dem alle Beteiligten profitieren.
Um das zu erreichen, ist es erst einmal notwendig, dass über die gesamte Wertschöpfungskette eine differenzierte Preispolitik praktiziert wird. Hier kann zum Beispiel eine deckungsbeitragsorientierte Preissteuerung eine Alternative sein. Ziel muss es sein, mit einem solchen System durch kundenbezogene Preisdifferenzierung die individuellen Preisräume maximal auszuschöpfen und damit den Deckungsbeitrag zu erhöhen. Merkmale der Preisdifferenzierung können logistische Kriterien (Entfernung, Ausladung, Auftragsgröße etc.) oder die sich in Staffelpreisen ausdrückende Kategorisierung nach A-, B- oder C-Kunden sein. Zurechenbare Vertriebskosten oder die Definition als attraktiver Zielkunde können sich auf die Preisbildung auswirken. Am Ende müssen leistungs- und nachfragestarke Kunden im Vergleich zu anderen einen Preisvorteil erhalten. Undifferenzierte Preisvorteile über die gesamte Kundenstruktur aus Gründen der Kapazitätsauslastung sind hinsichtlich des Ertrags kontraproduktiv.
Es sollte jedem kaufmännisch Handelnden bewusst sein, dass die bloße Weitergabe von Einkaufsvorteilen über einen reduzierten Verkaufspreis vom Ertragsgedanken her einem Nullsummenspiel gleicht. Es ist tragisch, dass oft wirtschaftliche Vorteile durch Produktivitätsfortschritt, erfolgreiche Kostensenkungs-Programme oder Konditionenvorteile durch Mitgliedschaft in einer Kooperation direkt in eine Reduzierung des Verkaufspreises einfließen. Dieses Phänomen kann man leider über alle Wertschöpfungsstufen finden.
Auch Kooperationen können in ihrer "Sparkassenfunktion" zu einer verstärkten Marktpflege beitragen. Ein sicherlich gewagter, aber vielleicht diskussionsfähiger Gedanke ist die Vereinbarung von nachträglichen Rückvergütungen, die strikt kalkulationsneutral für die Verkaufspreisgestaltung des Handels behandelt und von den einschlägigen Kooperationen treuhänderisch verwaltet werden. Über eine solche Sparkassenfunktion wird das allgemeine Preisniveau angehoben, die Effekte der Zuschlagskalkulation wirken und den abwärtsgerichteten Preisspiralen würde künstlich Einhalt geboten, was letztlich allen zu Gute kommt. Im Baumarktbereich wird dieses Verfahren von einigen großen Ketten seit langem praktiziert. Dort werden Verkaufspreise grundsätzlich nicht auf Basis der Netto-Netto Einstandskonditionen kalkuliert.
Eine differenzierte, intelligente Preispolitik kann deutlich erfolgreicher wirken als Kostensenkungen oder Mengensteigerungen. Für die Umsetzung ist jedoch ein gemeinsames Grundverständnis notwendig, dass sich über die gesamte Wertschöpfungskette spannt. Die aktuelle angespannte Lage sollte Anlass genug sein, sich mit diesem Thema intensiv auseinander zu setzen.
aus
BTH Heimtex 09/04
(Handel)