Berberlin in Berlin-Kreuzberg

Teppichvirus aus dem Netz


Das junge Label Berberlin war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat das perfekte Medium genutzt, seine nordafrikanischen Nomadenteppiche der Öffentlichkeit zu zeigen: Instagram. Dazu punktet das Familienunternehmen mit seinem sympathischen Auftreten im Netz und im Ladengeschäft.


Das Virus hat sich über Instagram ausgebreitet. Von Berlin-Kreuzberg aus hat es seine Kreise gezogen, weit über die Stadtgrenzen hinaus. Kein Wunder: Den Bildern, die Julia Schauenburg-Kacem vom Teppich-Label Berberlin postet, kann man sich schwer entziehen. Eine fröhliche Familie ist darauf zu sehen, Reisefotos aus Nordafrika von bunten Märkten und Teppichknüpferinnen ... und geschmackvoll eingerichtete, farbenfrohe Wohnräume. Natürlich mit Teppichen, vielen Teppichen. Aus Marokko und aus Tunesien. Beni Ouarain, Azilal und Kelims: Vintage und neu.

Immer der Leidenschaft nach

Live besichtigen (und kaufen) kann man die Teppiche bei Berberlin in Berlin-Kreuzberg, dem Ladengeschäft und Showroom des Ehepaares Julia Schauenburg-Kacem und Lido Kacem. Lido Kacems Familie stammt aus Tunesien und hat Berber-Wurzeln; er selbst ist eigentlich studierter Bauingenieur. Julia Schauenburg-Kacem kommt aus Hamburg und war lange als Fotografin in der Modebranche tätig. Ursprünglich hatten die beiden die Teppiche für sich und Freunde von ihren Reisen nach Nordafrika mitgebracht, nach und nach äußerten immer mehr Personen aus ihrem Bekanntenkreis Interesse. So oder so ähnlich fingen schon in den 1960er-Jahren Geschichten von Teppichhändlern an. Doch die Kacems gehen den Weg mit modernen Begleitern wie Instagram und Facebook neu.

Das stationäre Ladengeschäft besteht erst seit zwei Jahren, Berberlin befindet sich allerdings bereits im vierten Jahr. Anfangs haben die Kacems noch die eigene Wohnung als Showroom genutzt und die Teppiche von dort aus verkauft; parallel gab es ein paar Pop-up-Stores und Events, zu denen das Paar "einfach alle Freunde und Bekannte" eingeladen hat - mit der Bitte, dass diese so viele Leute wie möglich mitbringen sollten. "Dass wir die Teppiche in unserer Wohnung gelagert haben, war erst mal eine provisorische Lösung, die sich dann als Glücksgriff erwiesen hat", erklärt Julia Schauenburg-Kacem. "Auf diese Weise konnten wir die Teppiche im Wohnumfeld zeigen, da wirken sie noch mal ganz anders."

Julia und Lido Kacem leben ihr Konzept. Es gibt keine strikte Trennung zwischen Privatem und Geschäftlichem, weder zeitlich noch im Kopf, Bauch oder Herzen. Kunden werden zu Freunden, Freunde zu Kunden und Multiplikatoren. Ein durchstrukturierter "Marketingplan" existiert nicht; stattdessen folgen die Kacems ihrer Leidenschaft für Schönes, Kreatives, Handgefertigtes, ihren spontanen Ideen und "dem, was sich ergibt".

Kreuzberg: der perfekte Standort

Natürlich gehört auch eine Portion Glück dazu. Die Kacems waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und konnten ein Ladenlokal in Berlin-Kreuzberg anmieten. Hier ist die Miete "noch bezahlbar", gleichzeitig wohnt hier das perfekte Klientel für die ebenfalls durchaus bezahlbaren, ausdrucksstarken Teppiche: viele jüngere Familien mit Geld für schöne Dinge, Kreative mit Interesse an Handgefertigtem, Multikulti, alternativem Lebensstil - und Farbe. "Berliner, besonders Kreuzberger, sind ein bisschen verrückt und wagen auch mal etwas. Außerdem denkt man gerade in Kreuzberg sehr nachhaltig, das passt perfekt", erklärt Julia Schauenburg-Kacem. "Unsere Berber werden aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt und sind äußerst langlebig."

Besuche aus den Villenvierteln
und von außerhalb

Kunden planen ihren Besuch meist im Voraus, suchen hier also gezielt nach Teppichen. "Etwa drei Viertel davon sind junge Familien", berichtet Lido Kacem. "Für Kinderzimmer werden gern Beni Ouarain ausgesucht." Wie wohl alle Teppichfachgeschäfte hat auch Berberlin seine Hauptsaison in den kälteren Monaten: Dann kommen die Familien auch gern mit ihren Kindern zum Spielen vorbei. Die Kacems, Eltern des vierjährigen Junes und der zweijährigen Zwillinge Hedi und Leyf, freuen sich über die Besuche. Neben den Familien haben auch einige Innenarchitekten und Einrichter den farbenfroh und schön dekorierten Laden für sich entdeckt. So auch die Kreativdirektorin einer bekannten Wohnzeitschrift, die über Instagram auf Berberlin aufmerksam wurde und sich dort einen Teppich aussuchte. Es folgte ein Artikel in besagter Wohnzeitschrift, der weitere Aufmerksamkeit auf sich zog. Nach und nach finden immer mehr Architekten und Interessenten aus anderen Stadtteilen (und Städten) ihren Weg nach Kreuzberg. "Inzwischen trauen sich sogar die Leute aus den Villenvierteln von Berlin-Dahlem hierher", so Julia Schauenburg-Kacem. Oder aber es sind Instagram-Nutzer, die den Teppichkauf mit einem Städtetrip nach Berlin verbinden.

Instagram als Marketing-Instrument

Über 12.000 Abonnenten hat der Instagram-Kanal von Berberlin Rugs - "dabei haben wir die Plattform anfangs gar nicht bewusst als Marketing-Instrument genutzt", erklärt Julia Schauenburg-Kacem. "Es hat sich vielmehr so ergeben, weil ich eben Fotografin bin und gern schöne Bilder mache und zeige." Ursprünglich kommt sie aus der Modebranche und hat lange in Australien gearbeitet. Noch lieber als in der schnelllebigeren Fashion-Welt setzt sie ihr Auge für Schönes und ihr gutes Trendgespür jetzt in Sachen Einrichtung und Teppiche ein. Die Berberlin-Bilder erzählen Geschichten: von Reisen durch Tunesien und Marokko, von Knüpferinnen im Atlas. Von dem Familienleben in Berlin in wunderschön eingerichteten Räumen, die durch die nordafrikanischen Nomadenteppiche noch farbiger und wohnlicher werden.

Sympathiebonus und Identifikationsfaktor sind hoch: Nach und nach trafen immer mehr Anfragen ein, wo man die schönen Teppiche denn kaufen könne. Einrichtungs-Blogger wurden auf den Instagram-Kanal aufmerksam und ihrerseits zu Multiplikatoren. Fast täglich lädt Schauenburg-Kacem Bilder hoch, beantwortet Kommentare, tauscht sich mit "Followern" aus. Ihre Beiträge gefallen durchaus schon mal über 1.500Personen; dazu gibt es Reaktionen wie "Wie groß ist der Teppich, und ist er noch zu haben?" oder: "How much is it, and do you ship to Holland?" ("Was kostet so etwas, und liefert ihr auch nach Holland?") Instagram hat den Markt dezentralisiert; man wird auch über die Berliner Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen. Manchmal treffen sogar mitten in der Nacht über Whatsapp Anfragen zu Teppichen ein, die auf Instagram veröffentlicht wurden.

Direkter Kontakt
zu den Knüpffamilien

Zwei- bis viermal jährlich reisen die Kacems in die Ursprungsländer der Teppiche, nach Marokko und nach Tunesien. Anfangs haben sie auf den Basaren eingekauft, jetzt wenden sie sich direkt an die Knüpffamilien und verfügen in Marokko sogar über ein eigenes Atelier. Auch in Tunesien wollen sie eines aufbauen. Typisch für Marokko sind die minimalistisch-zotteligen Beni Ouarain und die farbigen Azilal; in Tunesien sind Flachgewebe in kräftigen Tönen stark vertreten. Auch ältere Teppiche kauft Berberlin ein und bereitet sie durch eine sorgfältige Wäsche auf. Darunter: farbige Boujad in Pink- und Rosétönen. "Nach diesen alten Teppichen halten die Menschen vor Ort für uns Ausschau", erklärt Julia Schauenburg-Kacem. "Das lohnt sich für beide Seiten: Wir bieten faire Preise, das spricht sich herum." Der enge Kontakt zu den Knüpffamilien ist Berberlin wichtig; das Kulturgut Berberteppich liegt ihnen am Herzen.

Kundenservice:
Neuer Teppich, neues Ambiente

Weil Teppiche am besten im Wohnumfeld wirken, haben es sich die Kacems auch im Ladengeschäft "wohnlich eingerichtet". Rechts vorn eine Spielecke mit Kinderzelt und Sitzkissen, links ein schlichter, modern-eleganter Tisch aus aus rot lackiertem Metall und Holz. Der Tisch und das passende Sideboard wurden in Zusammenarbeit mit einer Berliner Architektin entwickelt; auf Wunsch stellen die Kacems den Kontakt her.

Die Teppichkäufe im Laden und im Internet halten sich laut Lido Kacem etwa die Waage. Wer in erreichbarer Nähe wohnt, kann sich den Teppich erst mal zur Ansicht in die Wohnung legen lassen. Julia Schauenburg-Kacem hat ein besonderes Auge für stimmige Settings und macht auf Wunsch Vorschläge, wie man die Möbel so umräumen kann, dass die Einrichtung - mit Teppich - noch besser wirkt. Und wer den Beni Ouarain, Azilal oder Kelim erst mal in seiner Wohnung liegen sieht, will ihn meist auch haben.•
aus Carpet! 04/19 (Handel)