Leserbrief: Hallo liebe Tapetenbranche!
Das Jahr 2020 hat so hoffnungsvoll begonnen. Es war schon die Rede davon, dass es ein Revival der goldenen 1920er Jahre werden könnte. Davon ist jetzt schlagartig nichts übrig geblieben. Außer vielleicht, dass wir jetzt auch auf dem Vulkan tanzen.
Unsere Gesellschaft hat die drastischsten Maßnahmen beschlossen, die in Friedenszeiten denkbar sind: Wir fahren freiwillig und sehenden Auges unsere Wirtschaft herunter, um die Folgen des Coronavirus einzudämmen. Das ist völlig beispiellos und es ist alternativlos.
Tapeten sind mit Sicherheit nicht systemrelevant. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass auch unsere Fabriken zumindest zeitweise stillgelegt werden. Tapeten können nun mal nicht im Homeoffice hergestellt werden.
Es nützt aber nichts, als Branche über die Situation zu lamentieren oder in irgendeiner Weise um Mitleid zu buhlen. Es betrifft jeden und alle Bereiche. Einige trifft es hart und andere härter! Die Reisebranche, der Einzelhandel und, und, und... trifft es noch einmal wesentlich härter als unsere geliebte Tapetenbranche.
Wir dachten bisher, dass wir wissen, was Krise bedeutet und wie man damit umgeht. Aktuell haben wir es mit der Mutter aller Krisen zu tun und niemand weiß, wohin uns das führt, wie lange uns das beschäftigen wird und was am Ende übrig bleibt.
Ich weiß, wie schwer es ist, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber ich bin mir sicher, dass es uns gelingen kann. Jetzt gibt es wirklich keine Ausreden mehr und unser Fokus richtet sich auf das, was wirklich wichtig ist! Nämlich, dass wir diese Krise mit so wenig Opfern wie möglich - vor allem an Menschen, aber auch an Material - überstehen. Wie in der Gesellschaft insgesamt haben wir als Branche die größte Chance, diese extreme Phase durchzustehen, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dass es mit der Tapete weitergeht.
Wir vom Verband der Deutschen Tapetenindustrie werden alles in unserer Macht stehende tun, wenn es darum geht, Hilfestellung bei den jetzt und zukünftig anstehenden wichtigen Fragen zu leisten. Unsere Aktivitäten zur "Deutschland tapeziert"-Kampagne laufen selbstverständlich weiter - auch wenn sie vor den aktuellen Ereignissen verblassen und es für die meisten von uns derzeit erst einmal Wichtigeres gibt. Ich bin dennoch fest davon überzeugt, dass wir gerade jetzt die Notwendigkeit und Verpflichtung haben, nach vorne zu schauen und darüber nachzudenken, wie wir heute und nach der Krise weiter machen. Das ist Teil unserer Verantwortung!
Das Ganze kann für unser Produkt ebenso wie für unsere Gesellschaft insgesamt auch als eine Chance gesehen werden. Zum einem erkennen wir gerade mit dem Blick auf die wirklich wesentlichen Dinge, was wir vielleicht in der Vergangenheit unnötiger oder fälschlicherweise getan haben und was nicht unbedingt wieder hochgefahren werden muss. Wir lernen gerade schmerzlich, weil wir darauf zwangsweise reduziert werden, dass die eigenen vier Wände die wichtigsten sind, die es für jeden Einzelnen gibt. Wenn der Fokus wieder mehr darauf liegt, ist gerade unser Produkt eine große Hilfe, diese wichtigsten Räume, die fast jeder hat, zu gestalten. Genau das wird den Leuten gerade brutal vor Augen geführt: Reduktion auf das wirklich Wesentliche! Familie, Zuhause. Ein schönes Zuhause ist wieder mehr Grundbedürfnis und dabei können und werden wir helfen.
Wenn wir ehrlich sind, war unser aller Vorgehen in den letzten Jahren reichlich überhitzt und bereits der oben erwähnte Tanz auf dem Vulkan. Zum Beispiel hat dieser Wahn, in immer entferntere Länder reisen zu müssen, uns und unserer Umwelt mehr geschadet als wir vielleicht vermutet haben. Die aktuellen Bilder der sauberen Lagune von Venedig, nachdem man nur ein paar Wochen den Tourismus komplett herunter gefahren hat, finde ich als Beispiel dafür echt beschämend! Hoffentlich kommen wir in Zukunft wieder mehr dazu, das Glück vor der eigenen Haustür zu finden. Oder, bezogen auf unser Produkt, in den eigenen vier Wänden!
Das scheint im Augenblick ferne Zukunftsmusik zu sein. Aktuell haben wir ganz andere Nöte und Sorgen. Aber meine Hoffnung ist, dass das Besinnen auf Wesentliches ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sein wird und auch uns im Kleinen zugute kommt.
Was ich mir von Euch wünsche: lasst uns im Kontakt bleiben! Egal, was die Zeit jetzt mit sich bringt. Wenn Hilfe benötigt wird: meldet Euch! Wenn Ihr Hilfe geben könnt: umso besser! Wir können mit Sicherheit das eine oder andere koordinieren. Und lasst uns zusammen daran arbeiten, diese Branche und dieses Produkt "Tapete" aufrecht zu erhalten, um es nach dieser Krise wieder dahin zu führen, wo es hin gehört: an die Wand! Und zwar auf möglichst jede!
Passt auf Euch und Eure Lieben auf! Ich wünsche Euch Stärke, Besonnenheit und Durchhaltevermögen!
Wir sind Tapete!
Michael Caspar
Michael Caspar ist Inhaber der Caspar Manufaktur und Vorstandsvorsitzender des Verbands der Deutschen Tapetenindustrie.
aus
BTH Heimtex 05/20
(Tapeten, Wandbeschichtungen)