Vom kleinen Fachhändler bis zum großen Hersteller
Die Textilbranche näht Schutzmasken in der Krise
Hamburg. Zwischen acht und zwölf Milliarden Masken werden nach einer Schätzung von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gebraucht, um alle Menschen in Deutschland ein Jahr lang mit Mund- und Nasenschutz zu versorgen. Zahlreiche große Textilhersteller haben ihre Produktion umgestellt. Aber auch ein kleiner Fachhandel aus dem schleswig-holsteinischen Ahrensburg zeigt, wie es geht, in der Krise aus der Not eine Tugend zu machen.Erst waren es nur ein paar Kunden, die Stoff kaufen wollten, um sich selbst Gesichtsmasken zu nähen, heute können wir uns vor Nachfragen kaum noch retten", fasst Tanja Klam, Inhaberin von Betten Bubert und Stoffideen in Ahrensburg bei Hamburg, zusammen, wie sich in den vergangenen Wochen ihr Geschäft verändert hat. Als Mitte März vorübergehende Geschäftsschließungen als Maßnahme in der Corona-Krise bevorstanden, dachte die Chefin von zehn Mitarbeiterinnen bereits über Kurzarbeit nach.
Doch dann kam alles anders: Auf zunehmende Nachfragen der Kunden nach Gesichtsmasken folgte der erste Großauftrag. "Für eine Reihe von kardiologischen Praxen in Hamburg haben wir in anderthalb Wochen 500 Masken nach speziellen hygienischen Vorschriften genäht", erinnert sich Tanja Klam, die das Geschäft gemeinsam mit ihrer Mutter Ingrid Ebeling führt.
Mittlerweile sind die Ahrensburgerinnen echte Maskenprofis: "Vom Schnittmuster mit oder ohne Zutaten für eine Gesichtsmaske zum Selbernähen bis hin zu fertigen Exemplaren in unterschiedlichen Ausführungen und Größen produzieren wir alles." Zu den Kunden zählen neben Privatleuten auch Arztpraxen und Apotheken. "Um das alles schaffen zu können, arbeiten wir beinahe mehr als normalerweise", beschreibt Tanja Klam. Zum Glück seien ihre Mitarbeiterinnen gleich mit an Bord gewesen und bis heute unermüdlich im Einsatz an Nähmaschine und Bügelbrett.
Zudem profitiert das Fachgeschäft von seiner ungewöhnlichen Geschichte: 2008 übernahm Tanja Klam das Stoffgeschäft, das ihre Mutter vor 40 Jahren gegründet hatte. Weniger Glück einen Nachfolger zu finden hatte das in der Nähe gelegene Fachgeschäft Betten Bubert. Tanja Klam sprang ein, ging - gemeinsam mit ihrer Mutter - noch ein Jahr bei Heinz Bubert in die "Lehre" und führt seit 2011 beide Fachgeschäfte erfolgreich unter einem Dach. Dazu bietet sie ein umfangreiches Programm an Nähkursen an.
"Dass wir nicht nur eine Betten- sondern auch eine Stoffabteilung haben, hat uns in der aktuellen Krise gerettet", freut sich Tanja Klam. Stoff und Zubehör sind ausreichend vorhanden oder können unkompliziert besorgt werden. "Genäht wird im Atelier, in dem wir sonst Nähkurse abhalten, aber auch an allen anderen freien Plätzen im Haus", beschreibt die Geschäftsfrau die Ausnahmesituation. Und die dauert an: Auch nachdem der normale Geschäftsbetrieb wieder aufgenommen werden konnte, steht die Maskenproduktion in Ahrensburg nicht still: "Solange der Bedarf da ist, machen wir weiter", kündigt Tanja Klam an. "Um zu helfen, aber auch, um unser Geschäft durch diese schwierige Zeit zu bringen."
Hersteller stellen
Produktion um
So sehen das auch zahlreiche Textilhersteller, von denen wir hier nur eine kleine Auswahl erwähnen können, die auf den Ruf von Krankenhäusern, Arztpraxen, Apotheken und Privatpersonen reagieren. Es fehlt zum Beispiel an Abermillionen Mund-Nasen-Masken, die die Gefahr von gefährlicher Tröpfcheninfektion bei Covid-19 im Alltag verringern. Dazu kommt der Bedarf im Gesundheitswesen, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn derzeit auf bis zu 450 Millionen FFP-2-Spezialmasken und eine Milliarde OP-Masken beziffert.
Umso mehr freut sich beispielsweise das Kompetenz-Zentrum Textil+Sonnenschutz darüber, wie schnell und flexibel viele der Mitglieder in dieser Krisensituation reagieren. Unter anderem nutzen die Hersteller Alfred Apelt GmbH, f.a.n. Frankenstolz, Centa-Star, die Rummel Matratzen und die Waldenburger Bettwaren ihre Produktionskapazitäten derzeit für die Herstellung von Mund-Nase-Masken sowie weiteren Hygiene- und Schutzprodukten. Mit dieser Maßnahme leisten die Unternehmen nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Schließung der Lücke, die bei der Versorgung mit den so dringend zur Eindämmung der Pandemie benötigten Artikeln bundesweit besteht. Sie stellen auch sicher, dass die Produktion und damit die Beschäftigung der Mitarbeiter zumindest teilweise weiterlaufen kann.
Alfred Apelt
Im Eiltempo hat der Textilhersteller Alfred Apelt die Produktion umgestellt. Seit einigen Wochen fertigt das Unternehmen aus dem Baden-Württembergischen Oberkirch Mund-Nasen-Masken in industriellem Umfang. Die Apelt-Masken bestehen zu 100 Prozent aus Polyester. Das eingesetzte Faser-Vlies ist bei 95 Grad waschbar; damit ist es hygienisch und mehrfach verwendbar.
"Wir haben uns schnell, flexibel und mit großem Engagement dem wichtigen Thema gestellt und gemeinsam mit unserem Team alle Schritte erfolgreich in die Wege geleitet, um lebenswichtige Artikel wie beispielsweise Mund-Nasen-Masken in Produktion zu bringen", erklärt Inhaberin Donata Apelt-Ihling. Zu den Abnehmern der Apelt-Masken zählen sowohl medizinische Einrichtungen und Apotheken als auch Krankenhäuser und spezialisierte Großhändler.
Sebastian Ihling, der gemeinsam mit seiner Schwester Karoline die dritte Generation im Familienbetrieb Apelt vertritt, koordiniert den Vertrieb: "Wir wurden von Anfang an mit Nachfragen aus allen Bereichen überschüttet. Neben Kunden aus dem Medizinsektor sind wir derzeit auch bemüht, unsere Bestandskunden sukzessive zu beliefern."
Cotonea
Einen riesigen Andrang auf ihr frisch lanciertes Programm, bestehend aus zwei Linien ökologischer und fair hergestellter Mund-Nasen-Masken aus Bio-Baumwolle für den privaten Gebrauch, erlebte auch der Biotextil-Hersteller Cotonea aus Bempflingen. Innerhalb weniger Tage war die erste Produktion der Behelfsmasken bereits ausverkauft. Die Klickzahlen im Webshop hatten sich verfünffacht.
Cotonea-Geschäftsführer Roland Stelzer ist stolz auf die Mitarbeiter: "Das Team aus qualifizierten, motivierten Näherinnen in unserer tschechischen Näherei freut sich, dass es trotz des Einbruchs in der Textil- und Modeindustrie durch Covid-19 zu tun hat und dabei vielen Menschen helfen kann." Derzeit erhöht Cotonea die Produktion und arbeitet auf Hochtouren, um Bestellungen innerhalb von zwei Wochen auszuliefern. Die Behelfs-Mund-Nase-Masken haben aufgrund der Materialien und Fertigung ein geringes allergisches Potenzial und sind waschbar.
Herka Frottier
Einen Schritt weiter in der Beschaffenheit seiner Masken geht der Frottierhersteller Herka. Aus aktuellem Anlass näht auch das österreichische Unternehmen Mund-Nase-Masken. Diese entsprechen den offiziellen Vorgaben für Geschäfte und dem öffentlichen Personennahverkehr. Hergestellt werden können rund 50.000 Baumwoll-Masken pro Woche, die Kapazitäten sollen nach Möglichkeit jedoch laufend erweitert werden. Darüber hinaus arbeitet Herka an einer Zertifizierung nach EN14683 und FFP2 mit dem Ziel, künftig auch medizinische Schutzausrüstung herstellen zu können.
Mattes & Ammann
Intensiv beschäftigt mit der Beschaffenheit der Stoffe, die sie für die Masken-Produktion zuliefern können, hat sich auch das Baden-Württembergische Textilunternehmen Mattes & Ammann. Dazu gehörten umfangreiche Prüfungen der Textilien. Bei den Hohenstein Instituten wurde beispielsweise in Anlehnung an die biologische Beurteilung von Medizinprodukten die Zytotoxizität getestet, das heißt, der Nachweis erbracht, dass die Materialien keine Giftstoffe enthalten, die zu Zellschädigungen führen können. Darüber hinaus wurde die gute Luftdurchlässigkeit der Stoffe festgestellt.
Damit, so heißt es aus dem Unternehmen, seien die Mattes & Ammann-Textilien im Verbund mit anderen Komponenten auch für die derzeit immer wieder erwähnten FFP1-, FFP2- und FFP3-Masken sinnvoll, da die Stoffe elastisch seien und sich ideal dreidimensional verformen ließen. Zudem wurde bei der Entwicklung besonders darauf geachtet, dass die Textilien bei 60 beziehungsweise 95 Grad waschbar und somit wiederverwendbar sind.
Edgar Kunz Textilveredelung
Als Reaktion auf den dringenden Bedarf an Schutzausrüstung fokussiert das Textilveredelungsunternehmen Edgar Kunz sich derzeit unter anderem auf die Konstruktion von Mund-Nase-Schutz-Masken, Gesichtsvisieren und Schutzkitteln. "Dabei wollen wir uns nicht der bereits breit angelegten Fertigung einfacher Masken anschließen, sondern uns auf eine höhere Variante konzentrieren, die sich an den Vorgaben der Personen-Schutz-Ausrüstungorientiert", erklärt Frederik Kunz, Geschäftsführer des in der vierten Generation familiengeführten Unternehmens in Aschaffenburg.
Konkret handelt es sich um einen dreilagigen Verbund mit einem zwischenlagigen Filtrationsvlies. Die hierfür benötigten Rohmaterialien werden in Deutschland produziert und sind bereits vielfach für andere Anwendungen im Hygienebereich erfolgreich eingesetzt worden. Die Masken sind waschbar und mehrfach verwendbar. Alle eingesetzten Materialien sind hydrophob, das heißt, sie nehmen nicht wie beispielsweise Baumwollmaterialien Feuchtigkeit auf, die sich negativ auf die Filtration und Hygiene auswirkt, sondern transportieren diese nach außen und trocknen somit wieder schnell ab.
Sandler Gruppe
Keine fertigen Masken, sondern Vliesstoffe, die für die Herstellung von OP-Masken, Mund-Nasen-Schutz oder partikelfiltrierende Halbmasken (FFP) benötigt werden, produziert die Sandler Gruppe in Schwarzenbach an der Saale. Gewöhnlich zählen die Automobil-, Bau- und Möbelbranche - und damit von dem Shut-Down besonders betroffene Industriezweige - zu den wichtigsten Umsatzträgern des Hightech-Herstellers. Aus aktuellem Anlass konzentriert Sandler sich nun jedoch auf den Bereich Filtration für Atemmasken.
"Die Nachfrage nach unserem Vlies für Atemmasken ist ungebrochen - und zwar seit Wochen. Trotz der Produktion an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr können wir Neubestellungen von Atemmaskenherstellern erst wieder ab Juni annehmen", bestätigt Dr. Christian Heinrich Sandler, Vorstandsvorsitzender der Sandler AG. "Andererseits nehmen wir auch die weiterhin herausfordernde Situation im Gesundheitsbereich wahr und haben daher in der letzten Woche beschlossen, in eine weitere Maschine für Maskenvlies am Standort Schwarzenbach in Oberfranken zu investieren."
Dass die Bundesregierung die Industrieproduktion in Deutschland mit Investitionszuschüssen und Abnahmegarantien fördert, freut den Familienunternehmer. "Vlies für Luftfiltration produzieren wir bereits seit über 20 Jahren. Wir haben uns dabei erfolgreich im globalen Wettbewerb behaupten können."
Die Inbetriebnahme der neuen Anlage treibt die Sandler Gruppe mit höchstem Einsatz voran, der Produktionsstart ist bereits für Juni geplant. Mit der Kapazitätsausweitung will das Unternehmen einen Beitrag leisten, dem starken Engpass an Filtermaterialien für Atemmasken schnellstmöglich entgegenzuwirken. Das erklärte Ziel: "Wir wollen zusätzlich Vliesstoff für die Herstellung von bis zum 800 Millionen Masken produzieren."
aus
Haustex 05/20
(Handel)