Farbenbranche stellt sich hinter den Green Deal
Die Farbenindustrie sieht Chancen im Green Deal der Europäischen Kommission für ein klimaneutrales Europa. Die Branche könne erheblich zur Erreichung der Ziele beitragen. Durch die Corona-Krise ist der Umweltschutz zwar ein wenig ins Hintertreffen geraten, aber bei weitem nicht vergessen. Vor allem der Green Deal der Europäischen Kommission für eine nachhaltige Wirtschaft in Europa sorgt dafür, dass Umweltbelange im Fokus bleiben. Ziel des Konzepts: Europa soll als erster Kontinent klimaneutral werden. Die deutsche Farbenindustrie zieht mit und setzt entsprechend auf Nachhaltigkeit.
"Es geht um einen grundlegenden Umbau insbesondere der Industrie, Infrastruktur und Gesellschaft", betonte Peter Jansen, Geschäftsführer des Farbenherstellers Jansen in Bad Neuenahr-Ahrweiler und Präsident des Verbands der deutschen Lack- und Farbenindustrie (VdL). Seiner Meinung nach sind die Hersteller besonders vom Green Deal betroffen, da sie in hohem Maße zur Zielerreichung beitragen werden: "Angefangen bei der Wärmedämmung bis hin zum Schutz von Beton, Eisen, Stahl und Holz vor Verfall." Dafür setze die Politik und Rahmenbedingungen und fordere nachhaltige Rohstoffe sowie Technologien.
Jansen kritisiert allerdings, "dass politische Entscheidungsträger oft wesentliche Aspekte ausblenden." So würden viele öffentliche Bauwerke abgerissen, weil deren Instandhaltung versäumt worden sei. "Es ist zu hoffen, dass die öffentliche Hand umdenkt", meint der VdL-Präsident.
Rasante Rohstoffentwicklung
Als "atemberaubend" bezeichnet Jansen die Geschwindigkeit, mit der zurzeit neue Rohstoffe für die Farbenindustrie entwickelt werden. Jedes Produkt werde als erstes unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit bewertet. "Bei Jansen steht am Anfang der Entwicklung die mögliche Kennzeichnung. Die neuen Systeme lösen zunehmend weniger nachhaltige Rohstoffe ab. Aufgrund der Selbstverpflichtung der Bautenfarbenhersteller in unserem Verband kommen keine krebserregenden, erbgutverändernden oder reproduktionstoxischen CMR-Stoffe zum Einsatz. Dabei setzen wir auf umwelt- und klimafreundliche Entwicklung, ohne dass Langlebigkeit, Schutzfunktion und Ästhetik des Anstrichmittels leiden."
Nach Auskunft von Hans-Jörg von Rhade, Geschäftsführer von Südwest Lacke+Farben in Böhl-Iggelheim, ist das Unternehmen aufgrund des gestiegenen Umweltbewusstseins gezwungen, seinen Ressourceneinsatz zu optimieren und seine Aktivitäten so nachhaltig wie möglich zu gestalten: "Der VdL, aber auch wir bei Südwest haben Nachhaltigkeit schon immer als wesentliches Element unserer Geschäftspolitik gesehen. Dabei verstehen wir diese als Gleichgewicht zwischen Ökologie, Sozialem, Wohlbefinden und Ökonomie." Nachhaltigkeit könne aber nur umgesetzt werden, wenn sie finanzierbar sei und die technischen Möglichkeiten gegeben seien.
Das angestrebte Gleichgewicht im hart umkämpften Markt der Bautenanstrichmittel zu erreichen, sei aber nicht immer leicht. Von Rhade zählt als erschwerende Aspekte sich verschiebende Rohstoffmärkte, strenge gesetzliche Auflagen sowie steigende Anforderungen der Verbraucher auf. "Darüber hinaus werden diverse Fragen unterschiedlich beantwortet. Wie sinnvoll ist Wärmedeämmung, wie schädlich sind Lösemittel, TiO, Konservierungsmittel und vieles mehr", betonte der Geschäftsführer.
Um bis 2050 ein klimaneutrales Europa ausrufen zu können, sind nach Ansicht von Bettina Klump-Bickert alle Teile der Gesellschaft gefordert, ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Transformation zu leisten. "Insbesonders die Wirtschaft kann - und muss - sich auf einen Wandel und Optimierung in vielen Feldern einstellen: im eigenen Unternehmen, mit den Produkten und deren Anwendungen", ist die Leiterin Nachhaltigkeitsmanagement bei DAW in Ober-Ramstadt überzeugt. "Als Familienunternehmen und Hersteller von innovativen Beschichtungssystemen bedeutet Nachhaltigkeit für uns, den wirtschaftlichen Erfolg durch ökologische und soziale Verantwortung abzusichern. In diesem Sinne begrüßen und unterstützen wir den Green Deal der Europäischen Kommission."
Umfangreiche Klimastrategie
Wie Klump-Bickert hervorhebt, hat DAW als erstes Unternehmen der Branche in Deutschland eine Klimastrategie verabschiedet, die die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C unterstützen soll. Demnach wird angestrebt, die Treibhausgas-Emissionen an den deutschen DAW-Produktionsstandorten und im Fuhrpark bis 2025 um 67 % zu senken. Im gleichen Zeitraum soll die eingesetzte Energie um 15 % verringert werden. Als Referenz dient dabei jeweils das Jahr 2015.
"Darüber hinaus wird der Strombezug an den deutschen Standorten weiterhin durch 100 % erneuerbare Energien abgedeckt. Die verbleibenden Restemissionen aus der Wärmeversorgung werden über den Kauf von zertifizierten Emissionszertifikaten kompensiert. Damit sind alle in Deutschland hergestellten Farben, Lacke und Lasuren klimaneutral produziert", macht die Nachhaltigkeitsmanagerin deutlich. In den kommenden Jahren werde sich die DAW ganz im Sinne des Green Deals weiter darum bemühen, einen Beitrag zur Verbesserung des Klimas, der natürlichen Ressourcen und der Lebenssituation von Menschen zu leisten.
"Die Zukunftsvision der europäischen Kommission, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein, ist der richtige Weg", lobt auch Christopher Jahn. Der Head of Product Management bei Dörken Coatings in Herdecke erinnert daran, dass nach den Berechnungen der EU-Kommission rund 40 % des Energieverbrauchs auf Gebäude entfallen. "Wenn die Sanierungsraten von Gebäuden erhöht werden, sehen wir im Green Deal auch Potenzial für unsere Branche", zeigt sich Jahn zuversichtlich. Nach seinen Worten ist Nachhaltigkeit in der DNA des Familienunternehmens Dörken fest verankert. Es werde stets darauf hin gearbeitet, dass Produkte und Lösungen einen Zweck erfüllen und innerhalb der Wertschöpfungskette einen Mehrwert generieren. Dabei werde auf modernste Technologie gesetzt.
Jahn schreibt umweltfreundlichen Produkten und Formulierungen insgesamt großes Potenzial zu. Derzeit deckten diese häufig nur die Ökologie ab. "Die Zukunft sind aus unserer Sicht Produkte, die die ökologischen Aspekte wie VOC-freie Lacksysteme mit hoher Performance kombinieren. Durch intelligente Formulierungen können sowohl umweltfreundliche als auch ökonomische Ziele erreicht werden", erläutert er. Die dadurch entstehenden Mehrwerte wie Verlängerung der Renovierungsintervalle, die Einsparung von Material und Arbeitsgängen sowie Langzeit-UV-Beständigkeit schafften Nachhaltigkeit.
Anteil nachhaltiger Produkte ist hoch
Auch nach Ansicht von Rainer Schmidt ist der Green Deal eine wichtige Initiative. "In Verbindung mit einer guten Investitionsstrategie, weltweitem Handel und der EU als treibender Kraft besitzt er großes Potenzial, um eine nachhaltige Transformation in den globalen Lieferketten zu beschleunigen", findet der Managing Director D/A/CH bei Akzo Nobel Deco. Der Hersteller unterstütze das Klimaziel der EU. Schließlich sei Nachhaltigkeit ein Grundprinzip des Unternehmens: "In der Chemiebranche sind wir seit vielen Jahren weltweit führend auf diesem Gebiet." Im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsstrategie stünden People, Planet, Paint. Man fühle sich einem respektvollen Umgang mit Lieferanten, Kunden und Mitmenschen verpflichtet und wolle komplett abfallfrei produzieren sowie die CO-Emissionen bis 2030 um die Hälfte reduzieren.
Nach Ansicht Schmidts hat sich inzwischen der Trend zu mehr Nachhaltigkeit etabliert, auch in der Farben- und Lackbranche. "Mehr als 40 % unseres Gesamtumsatzes haben wir im vergangenen Jahr bereits mit nachhaltigen Produkten erzielt. Mehr als die Hälfte wurde mit Produkten generiert, die den Marktstandard in Nachhaltigkeit und Leistung deutlich übertreffen", betont der Mananging Director. In diesem Bereich werde das Produktportfolio kontinuierlich ausgebaut.
Keimfarben stellt und vertreibt ausschließlich umweltfreundliche Produkte. "Das ist auch ein Mosaikstein unseres Erfolgs", erläutert Geschäftsführer Rüdiger Lugert. Nachhaltigkeit sei ein elementarer Bestandteil des Diedorfer Unternehmens. Es gehe darum, die Bedürfnisse heutiger Generationen zu erfüllen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden. In diesem Sinne erfüllten die Keim-Produkte die ökologischen Ansprüche durch die Rohstoffauswahl, die Vermeidung umweltschädlicher Wirkstoffe und eine saubere, energieeffiziente Produktion.
Chancen der Branche durch den Green Deal sieht Lugert vor allem in WDV-Systemen, die den Kohlendioxid-Ausstoß reduzieren. "Allerdings ist es wohl für nahezu jeden von uns schwer abzuschätzen, wie ein solch umfangreiches, über alle Bereiche der Gesellschaft in Europa gehendes Programm umzusetzen ist", merkt er an. "Grundsätzlich aber muss es die Verpflichtung aller sein, das Klima zu schützen und nachfolgenden Generationen eine Zukunft zu bieten."
| cornelia.kuesel@snfachpresse.de
aus
BTH Heimtex 09/20
(Farben, Lacke)