Zukunft der Innenstädte
Der Handel braucht Hilfe
Berlin. Schon lange vor dem aktuellen Lockdown hat die Sorge um die deutschen Innenstädte die Politik auf den Plan gerufen, jetzt ist die Situation noch einmal verschärft worden. Zuletzt stellte der Bundestag 25 Millionen Euro für Investitionen in Zukunftsprojekte bereit. Wirtschaftsminister Altmeier diskutierte zuvor an einem Runden Tisch mit Experten über Probleme und Lösungen zur Zukunft des stationären Handels. Der ist angesichts der erneuten Ladenschließungen in Alarmstimmung.
Mehr als die Hälfte der Innenstadthändler sehen aktuell ihre Existenz bedroht, im Bekleidungshandel sind es 65 Prozent. "Bis zu 250.000 Jobs sind gefährdet", fürchtet Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Er fordert deshalb für den Dezember die Gleichbehandlung mit der Gastronomie und die Aufnahme des Einzelhandels in die Dezemberhilfen. Sollte der Lockdown sich bis in das kommende Jahr hineinziehen, müssten für diese Zeit neue Hilfen geschaffen werden. Die aktuell vorgesehenen Leistungen der Überbrückungshilfe 3 würden nicht ausreichen.
Genth kritisierte die generelle Schließung der Geschäfte: "Der Einzelhandel ist kein Hotspot. Offene Läden und die wirkungsvolle Bekämpfung der Pandemie sind kein Widerspruch." Die erneute Schließung vieler Geschäfte sei nicht notwendig gewesen, so Genth. Nicht nur der Handelsverband fürchtet die Folgen: Einzelhändler, die nicht durchhalten, Leerstände und in der Folge verödende Innenstädte.
Die Thematik hat längst die Bundespolitik erreicht, auch wenn sie den Lockdown nicht verhindert hat. In Berlin denkt man immerhin an die Zeit nach Corona. Ende November beschloss der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ein neues, mit 25 Millionen Euro dotiertes Programm für zukunftsfähige Innenstädte. Damit wollen die Parlamentarier auf den drohenden Niedergang der Zentren reagieren.
"Mit den vom Haushaltsausschuss beschlossenen Mitteln sollen Modellprojekte finanziert werden, die innovative und experimentelle Vorhaben umsetzen, um zukunftsfähige und praxisnahe Konzepte für Innenstädte und lebendige Zentren von morgen zu entwickeln", erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sören Bartol die Zielsetzung. "Die Erstellung der Konzepte soll durch entsprechende Expertenberatung und die Durchführung von Reallaboren unterlegt werden."
Der HDE hatte bereits im Sommer 2020 die Einrichtung eines Innenstadtfonds in Höhe von 500 Millionen Euro gefordert. Mit diesen Mitteln sollen nach seiner Vorstellung die Aktualisierung und Standardisierung von Innenstadtkonzepten, die Analyse der Leerstandsituation und der Aufbau eines entsprechenden bundesweiten Katasters sowie eine aktivere Ansiedlungspolitik zur Erhöhung des Branchenmix finanziert werden.
Innenstädte zum
Erlebnisraum machen
Mitte Oktober hatte auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zum virtuellen Runden Tisch mit dem Thema "Ladensterben verhindern - Innenstädte beleben" geladen. Verbände, Kommunen und Unternehmen diskutierten Probleme und mögliche Lösungswege. Konkretes war von dieser ersten Runde noch nicht zu erwarten, aber zumindest wurde deutlich, wo die Handlungsfelder liegen.
Den Status quo beschrieb Altmaier so: 20 bis 30 Prozent der Umsätze seien bereits an den Onlinehandel verloren gegangen. Die Innenstädte büßten an Attraktivität ein, auch durch den zunehmenden Leerstand. Es gebe Probleme hinsichtlich Logistik und Nachhaltigkeit, außerdem die Konkurrenz durch Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Als sei das alles nicht genug, habe Corona den Druck auf den Handel zusätzlich erhöht.
Es gelte, dem Eindruck entgegenwirken, dass der Einzelhandel seine besten Tage hinter sich hat. Das Gegenteil sei der Fall: "Wenn wir die Stadt als Erlebnis- und als Betätigungsraum begreifen, wenn der Einzelhandel seine Flexibilität ausspielen kann, um dem Kunden innerhalb kurzer Zeit das Gewünschte und Gesuchte zielführend zu vermitteln und zu beschaffen, dann wird es möglich sein, die Innenstädte zu stabilisieren", so der Minister. Dazu sei es wichtig Handel, Gastronomie, Kultur, Tourismus und Soziales miteinander zu verknüpfen.
Digitalisierung
ist das Top-Thema
Ganz oben auf der Agenda des Ministers steht die Digitalisierung. "Wir werden am Ende nur gute Ergebnisse erzielen, wenn wir Synergieeffekte schaffen. Wenn wir erreichen, das die Vorteile von Onlineökonomie auch dem Einzelhändler selbst zugute kommen und zur Verfügung stehen."
Tina Müller, Teilnehmerin des Runden Tisches und Geschäftsführerin der Parfümeriekette Douglas, die bereits 40 Prozent ihres Umsatzes im Internet macht, will den Onlinehandel ebenfalls nicht als Feind des stationären Handels sehen: "Wir müssen vom Kunden her denken. Der recherchiert online nach Öffnungszeiten, Produkten, Verfügbarkeiten, lässt sich inspirieren und geht dann ins Geschäft. Oder er bestellt online und holt die Ware dann im Geschäft ab." Wichtig sei die Sichtbarkeit des lokalen, stationären Angebots im Netz. Dabei helfen digitale Plattformen und Marktplätze, die auch das Coaching der Händler übernehmen können. Der stationäre Handel dürfe den Onlinehandel aber nicht kopieren: "Er sollte sich seiner Einzigartigkeit bewusst sein und diese auch herausstellen. Stationärer Handel ist mehr als Produktabverkauf; es ist Erlebnis, Service, Beratung und Begegnung."
Die Verweildauer in den Geschäften sink
Die Verbraucher haben ihr Konsumverhalten im Verlauf der Corona-Krise geändert: Stationäre Geschäfte werden weniger besucht, die Verweildauer in Innenstädten sinkt, der Onlinehandel wächst, so eine Untersuchung des IFH Köln. Konsumentinnen und Konsumenten suchen Geschäfte demnach meist mit einem gezielten Kaufvorhaben auf; Stöbern und Inspirationskäufe finden weniger statt. Entsprechend gab jeder Zweite vor dem erneuten Lockdown an, sich aktuell kürzer in Geschäften aufzuhalten. Besonders bei der Frage nach dem Aufenthalt in der Innenstadt zeigte sich ein verändertes Verhalten: Nur ein Drittel der Befragten gab an, sich genauso lange wie vor der Krise in der Innenstadt aufzuhalten. Viele wechselten vom stationären Kauf zum Onlineshopping. Nachdem die vermehrte Zuwendung gen Online in KW 19, mitten im ersten Lockdown mit 35 Prozent am höchsten war, sank sie in den entspannteren Sommermonaten wieder deutlich auf 22 Prozent. Mit dem Anstieg der Infektionszahlen im Herbst entscheiden sich wieder mehr dazu, Einkäufe in den Onlinekanal zu verlagern. Ende November belief sich der Wert auf 26 Prozent.
aus
Haustex 01/21
(Handel)