Das Objektgeschäft steht unter Druck
Das Projektgeschäft ist für die Hersteller von Bodenbelägen, Farben, Tapeten und Sonnenschutz traditionell sehr wichtig. Die Folgen der Corona-Pandemie wirken sich hier sehr unterschiedlich aus, die sich zuspitzenden Baustoffengpässe verursachen in allen Segmenten Probleme.Die Hersteller von Bodenbelägen, Farben und Lacken, Tapeten, Sonnenschutz und Dekostoffen haben vom großen Renovierungsboom im Privatbereich 2020 profitiert. Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr verschönerten und renovierten die Deutschen ihre Wohnungen, Häuser und Gärten in einem Umfang wie seit Jahren nicht mehr.
Das für die Industrie wichtige Objektgeschäft lief vor allem in Deutschland ebenfalls gut. Denn kaum eine Baustelle stand während der Lockdowns still. Die große Mehrheit der geplanten, angeschobenen und laufenden Projekte lief weiter oder wurde trotz Pandemie fertiggestellt. Einige sehenswerte Beispiele haben wir in diesem "Spezial Objekt" auf den folgenden Seiten zusammengestellt. Je länger und stärker das Covid-19-Virus Deutschland allerdings in den Würgegriff nahm, desto größer wurde die Verunsicherung bei Bauherren, Investoren und Planern. Zahlreiche Projekte gingen erst einmal in die Warteschleife. Nach der Devise: Abwarten, wie sich die Pandemie auf die einzelnen Branchen auswirkt und was die Zukunft bringt.
Mehr als ein Jahr nach dem ersten Lockdown stellt sich die Situation in den wichtigen Segmenten Bildung, Healthcare, Agecare, Hotel und Gastronomie, Büro und Verwaltungen und Ladenbau sehr uneinheitlich dar. Besonders hart hat Corona Hotels und Restaurants, in Teilen den Retail-Bereich sowie den Office-Sektor getroffen. Alle drei Segmente sind wichtige Absatzkanäle beispielsweise für die Hersteller von Bodenbelägen. Nutzten viele Hoteliers die Reise- und Übernachtungsbeschränkungen erst einmal für Renovierungen, steht vielen Häusern mittlerweile das Wasser bis zum Hals. Die Zeichen stehen - trotz des Wegfalls von Reisebeschränkungen - auf Konsolidierung und Bettenreduzierung.
Verlierer sind Hotels und Einzelhandel
Ähnliches gilt für den Ladenbau. Beispiel Modegeschäfte: Viele mussten teilweise monatelang schließen. Die Inhaber haben ihre Investitionen in Renovierungsmaßnahmen drastisch reduziert und werden diese wohl erst 2022 wieder allmählich hochfahren. Bei Einzelhandelsgeschäften, die durchgängig öffnen durften, etwa Drogerien und Lebensmittelhändler, sieht die Situation allerdings wesentlich besser aus.
Nach und nach kehren die Arbeitnehmer aus dem Homeoffice in die Unternehmen zurück, doch hinterlässt die Corona-Pandemie im Office-Segment - dem mit Abstand wichtigsten Absatzmarkt für textile Bodenbeläge - deutliche Spuren. Zukünftig werden unter dem Strich weniger Präsenz-Arbeitsplätze benötigt. Trotzdem herrscht verhaltener Optimismus in der Bodenbelagsindustrie. Denn viele Unternehmen werden die verbliebenen Büroflächen erheblich umgestalten und renovieren, um den gestiegenen Ansprüchen an einen modernen Arbeitsplatz gerecht zu werden. Das prognostizieren auch die Verantwortlichen von Teppichfliesenweltmarktführer Interface im Interview ab Seite 76.
Das Segment Bildung lief während der Corona-Pandemie wirtschaftlich relativ stabil. Die Zeit der Schulschließungen nutzten die Kommunen, um beispielsweise geplante Renovierungsmaßnahmen wie das Instandsetzen oder Erneuern von Bodenbelägen vorzuziehen. Das Auflösen des vorhandenen grundsätzlichen Renovierungsstaus etwa in Schulen erwartet die Bodenbelagsindustrie aktuell nicht. Investitionen im Bildungsbereich gingen erst einmal in die IT-Infrastruktur, deren Schwächen die Corona-Pandemie schonungslos offen gelegt hat.
Auch für Krankenhäuser erwarten die Hersteller keine großen Renovierungsaufträge. Aufgrund der Belastung durch die Corona-Pandemie sowie der vielen deswegen verschobenen Operationen sind die Betreiber finanziell unter Druck. Nach wie vor positiv ist die Auftragslage im Agecare-Bereich, also in Alten- und Seniorenheimen.
Fehlende Baustoffe bremsen Projekte aus
Insgesamt fahren die Vertriebsteams der Industrie in allen Objektsegmenten "auf Sicht", weil die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie aktuell nur schwer abzuschätzen sind. Bestes Beispiel: Baustoffverknappung und -verteuerung. Beide Probleme - zeitlich verzögert verursacht durch die Pandemie - wirken sich auf die Baubranche mittlerweile sehr negativ aus. Weil Materialen wie Holzverschalungen oder Dämmstoffe zur Mangelware werden, verzögert sich der Baufortschritt, was auch negative Folgen für die Finanzierung der Projekte hat.
| Jochen Lange
aus
BTH Heimtex 06/21
(Handel)