Building Information Modeling (BIM) zur virtuellen Bauwerksplanung
Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit
Auf den ersten Blick würde man Digitalisierung nicht unbedingt mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringen. Aber was heißen Digitalisierung und Nachhaltigkeit eigentlich konkret für den Bausektor? Dies erklärt im Folgenden Bernd Lesker, der Leiter Anwendungstechnik und Produktmanagement Fußboden und Parkett beim Verlegewerkstoff-Hersteller Mapei und Mitglied des Technischen Beirats in der GEV ist.Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind häufig genutzte Schlagworte, werden als Trend bezeichnet und finden sich im täglichen Sprachgebrauch wieder. Digitalisierung ist dabei mehr als Daten in elektronischer Form verfügbar zu machen. Ihren Anfang hat die Digitalisierung sicherlich in der Übersendung von Briefen per E-Mail anstatt in Papierform. Aber Digitalisierung muss deutlich weiter gefasst werden, als nur Daten digital verfügbar zu machen. Dies ist nur der erste Schritt.
Digitalisierung ist die Industrialisierung des 21. Jahrhunderts. Sie hilft uns dabei, Prozesse zu vereinfachen, Entscheidungen - bedingt durch eine größere Informationsplattform - besser treffen zu können und den Service vor allem für Handel und Handwerk deutlich auszubauen. Dies beginnt bereits beim Rohstoffhersteller und endet eigentlich nie. Für viele ist eine "Digitale Bauakte" das fertige Resultat im Baubereich. In Wirklichkeit ist dies aber nur ein Zwischenstand im Gesamtprozess. Basierend auf einer guten, digitalen Bauakte kann ein effizientes Facility Management betrieben werden. Aber hier ist noch lange nicht Schluss.
Im Großen und Ganzen gesehen hilft uns die Digitalisierung dabei, Gebäude und Bauwerke zu planen, zu betreiben und letztlich auch wieder zu recyceln. Dabei ist Digitalisierung ein Werkzeug, quasi ein Arbeitstool, um gewisse Ziele zu erreichen. Die Ziele können ganz unterschiedlich sein, angefangen von einer Reduzierung des Rohstoffeinsatzes durch eine optimierte Bauteilstatik, der gezielte Einsatz von nachhaltigen und recycelten Rohstoffen, einem ressourcenschonenden Betreiben von Bauwerken während der Nutzungszeit bis hin zu einer vollständigen Rückbaubarkeit und Wiederverwertung der eingesetzten Rohstoffe. Digitalisierung ist somit das Werkzeug für einen optimalen Rohstoffkreislauf.
Digitalisierung mit BIM
Im Baubereich nennt sich dieses Tool "Building Information Modeling" (BIM), übersetzt: Gebäudedaten-Modellierung. Einfacher gesagt wird ein Bauwerk digital geplant, über Statik, Gebäudeformen, Innenausbau bis hin zum Betrieb des Objekts. Nach Abschluss der Planungen wird dann gebaut. Alle Informationen während des Bauprozesses werden mit dem "idealen" Modell abgeglichen und falls erforderlich angepasst. In der Fachsprache nennt sich das dann "digital twin", also digitaler Zwilling. So ist das real erstellte Gebäude in seinen Daten identisch in einer "digitalen Bauakte", dem digitalen Gebäudemodell.
BIM ist dabei nicht nur ein Werkzeug, sondern eine Arbeitsmethode. Softwarelösungen, die zur Realisierung von digitalen Bauwerken beitragen, sind die Werkzeuge. Bedient und gebraucht werden diese nach wie vor von uns Menschen, sei es als Planer, Statiker, Materiallieferant, Handwerker oder Facility Manager. Und je nach Anforderungen des Bauherrn kann dieses Werkzeug dazu beitragen, bestimmte Ziele zu erreichen.
Nachhaltige Planung von Gebäuden
Nachhaltige Gebäude, sogenannte "Green Buildings", mit Zertifizierung nach LEED oder DGNB-Standard sind beispielsweise die Ziele von Bauherrn und Investoren. Sprich, das Gebäude erfüllt bestimmte Kriterien der Nachhaltigkeit: Einsatz recycelter Rohstoffe zur Schonung der Natur, Rohstoffe mit besonders guter Ökobilanz zur Schonung der Umwelt, Materialien mit besonders geringen Emissionen zum Wohlergehen der Nutzer, etc.
Damit Planer diese Ziele erreichen können, muss eine ausreichende Datenplattform zur Verfügung stehen, idealerweise digital. So beginnt der Prozess der digitalen Datenweitergabe bereits beim Rohstoffhersteller. Relevante Informationen wie Inhaltsstoffe, Emissionsverhalten, Kennzeichnungen nach Verordnungen wie CLP oder Reach, physikalische und chemische Daten bis hin zu Ökobilanzdaten werden im Idealfall bereits digital zur Verfügung gestellt.
IVK beruft Arbeitsgruppe ein
Dabei gehen die Informationen teilweise deutlich über den Informationsgehalt eines Sicherheitsdatenblattes hinaus. Der Industrieverband Klebstoffe (IVK) ist hier bereits aktiv und hat eine eigene Arbeitsgruppe mit dem Titel "Harmonisierte Produktinformationen" einberufen. Diese Daten werden dann von den Herstellern der Fertigprodukte benötigt, um weitere Dokumente für den Gebäudeplanungsprozess zu erstellen. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist sicherlich die "Environmental Product Declaration" (EPD) oder auch "Umweltproduktdeklaration" zu nennen. Die EPD ist ein vollständiger Bericht, der nach internationalen Normen erstellt wird (z. B. ISO 14025, EN 15804 usw.), und der die Auswirkungen eines Produkts auf die Umwelt über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg dokumentiert, indem er diese Auswirkungen nach standardisierten LCA-Methoden (Life Cycle Assessment / Lebenszyklusanalyse) misst.
Eine LCA ist daher eine Bewertung der Umweltauswirkungen eines Produkts in allen Phasen seines Lebenszyklus: von der Gewinnung der Rohstoffe, aus denen sich die Rezeptur zusammensetzt, über deren Transport zur Produktionsanlage, zum Produktionskreislauf, zur Verpackung, zu den Abfällen, bis hin zum Transport des fertigen Produktes zum Händler und zu dessen Entsorgung. Auch hier ist der IVK mit aktiv und hat für viele Produktgruppen sogenannte "Muster-EPDs"
erstellen lassen, damit das Thema Nachhaltigkeit weiter vorangetrieben wird. Neben den EPDs sind noch Emissionslabel, wie z. B. der Emicode zu nennen. Dieser trägt mit seinem Kennzeichnungssystem und den strengen Emissionsansprüchen dazu bei, dass Verlegewerkstoffe heute sehr geringe Emissionen aufweisen und somit ein Höchstmaß an Sicherheit für Nutzer erreicht wurde. Deshalb wird der Emicode auch weltweit zur LEED-Zertifizierung von Gebäuden zugelassen.
Zurück zum Planer und der benötigten Datenbasis. Mit den gesamten Informationen zur Nachhaltigkeit von Produkten kann er, softwarebasiert natürlich, in kürzester Zeit die für sein Projekt richtigen Produkte zur Zielerreichung auswählen. Automatisch werden die Auswirkungen bei einem Produktwechsel ausgerechnet und schlagen sich z. B. in der erreichten Punktezahl zur Zertifizierung nach DGNB nieder.
Digitalisierung und Handwerk
Doch was bringt dem Handwerk die Digitalisierung? Ist sie Fluch oder Segen? In jedem Fall muss sich das Handwerk darauf einlassen! Die Digitalisierungsquote im Bausektor hinkt anderen Branchen deutlich hinterher, das steht fest. Aber die Erstellung von Bauwerken ist - Stand heute - halt auch keine Fließbandarbeit, die in einer Werkshalle erfolgt. Gebäude werden oft individuell geplant und bei Wind und Wetter gebaut, und das lässt sich nun mal schlecht beeinflussen.
Aber hier zeichnet sich durch die digitale Entwicklung ein Trend hin zum modularen Bauen ab. Es werden Teile von Gebäuden vorab in großen Werkshallen vorgefertigt und dann final auf der Baustelle zusammengesetzt. Grundlage dafür ist auch wieder eine Planungssoftware, oftmals in der Tat in Verbindung mit BIM. Beginnend bei der Statik, so lassen sich z. B. schmalere Wände erstellen durch die besseren maschinellen Möglichkeiten in der Fertigung. Durch den gezielten Einsatz von schnelltrocknenden Betonen werden Trocknungszeiten auf Baustellen reduziert und damit oftmals auch der Energieeinsatz zur Trocknung. Gleiches gilt für den Innenausbau, der mit trockenen Elementen in trockenen Bereichen erstellt werden kann. Somit verkürzen sich die Bauzeiten und Handwerker können unter besseren Bedingungen als auf der Baustelle ihre Arbeiten ausführen. Die Angaben zur Realisierung und Fertigung von solchen modularen Bauteilen kommen aus vorab digital zur Verfügung gestellten Informationen.
Digitale Unterstützung auf dem Bau
Aber auch auf Baustellen gibt es Vorteile fürs Handwerk, bedingt durch Digitalisierung. Die Komplexität am Bau wird immer größer, die Organisation der Baustelle immer aufwendiger und ein reibungsloser Ablauf ist selten gegeben. Da hilft digitale Unterstützung, angefangen beim Aufmaß. Wurde früher noch händisch alles gezeichnet und ermittelt, können heute 3D-Scanner eingesetzt werden. Innerhalb von zwei Minuten ist ein Raum gescannt, mit allen Abmessungen und Geometrien. Diese werden einfach ins digitale Gebäudedatenmodell eingespielt. In Verbindung mit den digital verfügbaren BIM-Daten z. B. für Bodenbeläge, Fußbodenaufbauten, etc. lassen sich somit im Handumdrehen 3D-Ansichten für den Bauherrn erstellen. Die Auswahl von Belägen und Verlegmustern wird somit für den Bauherrn "sichtbarer".
Im Tagesgeschäft des Handwerks lässt sich damit auch die Büroarbeit vereinfachen. Produktinformationen können von den Herstellern digital angefordert und auch digital an Planer und Bauherrn gesendet werden, selbstverständlich in einem passenden BIM-Format. Mit den passenden Schnittstellen lassen sich Verlegepläne immer in der aktuellsten Version herunterladen, außerdem sind Informationen zur Ausführung, zu den anzuwendenden Produkten oder zu Zeitplanen immer tagesaktuell verfügbar. Mit Tabletts lassen sich Sachverhalte auf Baustellen just in Time erfassen und mit Schnittstelle zur Software im Büro abgleichen. So können Bedenkenanmeldungen oder Unklarheiten unmittelbar schriftlich und visuell erfasst und dokumentiert werden. Per festgelegtem Prozessablauf landen die Fragestellungen unmittelbar beim zuständigen Bearbeiter z. B. in der Bauleitung, sodass Sachverhalte schnell gelöst werden können. Die Änderungen im Bauablauf oder in der Ausführung werden im digitalen Gebäudemodell festgehalten und dienen nachher auch als Nachweis für die Abrechnung. Apropos Abrechnung, insbesondere der Punkt der Kostensicherheit ist für alle Beteiligten am Bau ein wichtiges Thema.
Dies alles setzt natürlich voraus, dass sich Handwerker mit der entsprechenden Technik und Software ausstatten und auskennen. Wer sich dem aber öffnet, kann hier sicherlich kompetent und zuverlässig auftreten und ein gutes Geschäft betreiben. Genauso wie sich der Wandel bei den Architekten vom Reißbrett hin zum computerbasieren Zeichnen vollzogen hat, wird zukünftig auch der Ablauf der Kommunikation und Datenverwaltung bei Großprojekten über BIM-Softwarelösungen funktionieren. Es braucht eben Zeit, um diesen Wandel zu gestalten und zur Reife zu bringen. Die Vorteile liegen allerdings auf der Hand und werden dauerhaft überwiegen.
BIM - aktueller Stand und Ausblick
Eine Schätzung der aktuellen Nutzer von BIM im Tagesgeschäft bringt es eigentlich auf den Punkt: 15 % der Planer und Architekten in Deutschland arbeiten aktuell nach BIM. Das ist, im Vergleich zu anderen Ländern, noch sehr gering. Sprich, es gibt noch keine flächendeckende Verbreitung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: hohe Investitionskosten, Unsicherheiten, Vorbehalte einer neuen Lösung gegenüber, Mehraufwand, etc. Dies alles trägt nicht zu einer weiten Verbreitung bei. Zudem sind noch viele Fragen zu klären. Am brennendsten ist dabei wohl die Frage der Vergütung der Architekten. Denn bei der BIM-Methode werden mehr Leistungen während der Planungsphase erbracht, mehr als aktuell in der Vergütung vorgesehen sind. Dies ist in der aktuellen HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) noch nicht hinreichend berücksichtigt. Genauer gesagt, es gibt noch keine Standardisierung bei der Abrechnung. Grundsätzlich kann natürlich über die Unterscheidung von Grundleistungen und besonderen Leistungen der Arbeitsaufwand durch BIM berücksichtigt werden, allerdings zweifelsfrei ist das nicht, und je nach Auftraggeber kann es dann schon zu Diskussionen kommen.
Darüber hinaus gibt es auch grundlegende Fragestellungen, die erstmals Firmen, Planer und Handwerker jeder für sich zu beantworten haben. So z. B. Fachbegriffe wie "Open BIM" oder "Closed BIM", also Arbeiten in einer offenen Softwarelandschaft, Schnittstellen zwischen verschiedenen Software-Herstellern, oder eben nicht. "Little BIM" oder "Big BIM", also fachspezifisches Arbeiten innerhalb einer Firma, eines Büros oder eines Fachbereichs oder doch übergreifend mit mehreren Firmen, Büros und Fachbereichen. Braucht es einen BIM-Manager im Unternehmen, was ist die Single Source of Truth, also die einzig wahre Datenquelle, auf die man sich immer wieder berufen kann und was erwartet eigentlich der Bauherr oder Investor? In sogenannten Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) wird festgelegt, welches Ziel mit der BIM-Methode erreicht werden soll. Von "Wir beschäftigen uns intern mal mit dem Thema BIM", oder "Wir arbeiten konventionell und parallel mit BIM" über "BIM as built", also Gebäudedatenmodell wie gebaut, bis hin zur Nutzung der BIM-Daten in der Nutzungsphase durch das Facility Management.
Nach der Klärung der Grundlagen bleibt nur noch die Umsetzung und der Blick auf die Vorteile und Chancen. Die Komplexität am Bau kann mittels Software-Lösungen sicherlich vereinfacht werden. Beginnend bei Mengenplanung und Aufmaß, bei Materialbeschaffung und -auswahl, über die Ausführungskontrolle und Bauüberwachung bis hin zu einer besseren Kommunikation im Bereich von Bedenkenanmeldungen und Mangelmanagement. Einer der größten Vorteile aber wird die Verfügbarkeit der Daten zu Produkten während der Nutzungsphase sein als auch beim Recycling. Denn nur damit lassen sich Ziele wie Kreislaufwirtschaft, Green Deal oder Renovation Wave der EU langfristig und nachhaltig umsetzen: mit geeigneten digitalen Werkzeugen, für mehr Nachhaltigkeit am Bau.
aus
FussbodenTechnik 03/21
(Nachhaltigkeit)