Nachfolgeexpertin Prof. Dr. Birgit Felden | "Eine Gratwanderung für beide Seiten"

Köln. Beraterin und Nachfolgeexpertin Dr. Birgit Felden erklärt im Haustex-Interview, wie der Generationswechsel erfolgreich gelingen kann. Sie ist Professorin für Mittelstand und Unternehmensnachfolge an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.

Haustex: Frau Felden, das Thema
Unternehmensnachfolge erweist
sich für den deutschen Mittelstand
als Herausforderung, an der nicht
wenige scheitern. Wo liegen die
größten Probleme?

Birgit Felden: Es fängt damit an, dass viele Unternehmer und Unternehmerinnen zu spät anfangen, sich um einen Nachfolger zu kümmern - manchmal sogar erst, wenn sie das Rentenalter bereits selbst erreicht haben. Ich rate, etwa mit dem 55. Lebensjahr langsam in die Planung einzusteigen. Ein weiteres Problem, das vor allem kleine Unternehmen betrifft, ist die Altersvorsorge. Oft ist der Betrieb allein die Altersvorsorge, außerhalb werden keine Maßnahmen getroffen. Spätestens die Corona-Krise sollte jedoch gezeigt haben, wie verhängnisvoll diese Denkweise sein kann.

Haustex: Wie gehe ich denn als
Unternehmer am besten an die
Nachfolgersuche heran?

Felden: Indem ich frühzeitig einige strategische Überlegungen tätige. Vor allem muss ich mir über die Zielsetzung im Klaren sein: Will ich mit einer Übernahme vor allem einen guten Preis erzielen, oder ist es mir wichtiger, den Charakter und vielleicht sogar den Namen meines Unternehmens zu erhalten? Letzteres lässt sich mit einem Mitarbeiter, der übernimmt, sicher leichter realisieren als mit einem Wettbewerber als Käufer.

Haustex: Was gibt es noch zu
beachten?

Felden: Den Wert des Unternehmens zu bestimmen, ist auf jeden Fall hilfreich, aber auch ein sensibler Punkt. Oft erfolgt die Bewertung des eigenen Betriebs bauchgesteuert. Schließlich handelt es sich in den meisten Fällen um ein Lebenswerk, in das viel Arbeit und Herzblut gesteckt wurde. Das kann schnell zu überzogenen Kaufpreisvorstellungen führen. Der KMU-Rechner auf der Website www.Nachfolge-in-Deutschland.de ist beispielsweise ein hilfreiches Tool, um sich ein objektives Bild vom Wert eines Unternehmens zu machen.

Haustex: Allein den Wert eines
Unternehmens zu kennen reicht für
eine erfolgreiche Übernahme aber
sicher nicht aus.

Felden: Es gilt natürlich auch, ihn zu erhalten. Dazu gehört, keinen Investitionsstau herbeizuführen und ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell zu haben. Als abgebender Unternehmer sollte ich bis zur tatsächlichen Übernahme unternehmerisch mitdenken und im Idealfall auch bereit sein, meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin in der ersten Zeit mit meiner Erfahrung zu unterstützen.

Haustex: Zuvor muss aber erst mal
ein Nachfolger gefunden werden

Felden: Und das ist nicht leicht. Leider gibt es keinen funktionsfähigen Markt für Unternehmensnachfolgen. Zudem spielen auch emotionale Themen eine Rolle. Der Unternehmer will ja nicht nur jemanden finden, der es kann. Er oder sie soll auch noch zu ihm und seinen Mitarbeitern passen und möglichst aus der Region kommen. Für mich sind das alles Gründe, die Nachfolge frühzeitig anzugehen. In rund 50 Prozent der Fälle werden kleine und mittlere Unternehmen ja innerhalb der Familie übergeben. Aber auch hier muss der Nachwuchs rechtzeitig gefragt werden.

Haustex: Und wenn eine familiäre
Lösung ausfällt?

Felden: Dann empfehle ich, möglichst jedem und überall zu erzählen, dass ich einen Nachfolger suche. Vielleicht kommt ein Mitarbeiter in Frage? Ich kann mich auch auf Online-Börsen umsehen, Veranstaltungen besuchen, mit Banken und Kammern sprechen oder den Verband um Unterstützung bitten. Und wenn ich mit langem Vorlauf aktiv bin, brauche ich auch keine Angst davor haben, dass die Kunden denken, den Betrieb gibt es morgen nicht mehr.
Haustex: Welche Nachfolge-
Modelle gibt es neben der
familiären Übernahme?

Felden: Die zweigrößte Gruppe machen mit rund einem Drittel die betriebsinternen Übernahmen durch ehemalige Mitarbeiter und die betriebsexternen Übernahmen durch einzelne Personen oder kleine Teams aus. Dann gibt es noch institutionelle Erwerber, die sich in Finanzinvestoren und strategische Investoren, also etwa Wettbewerber, aufteilen.

Haustex: Angenommen, ein
potenzieller Nachfolger ist
gefunden: Was sind die nächsten
Schritte?

Felden: Passen Zielsetzungen und Qualifikation, steht die Klärung der finanziellen Bedingungen an - sowohl auf der abgebenden als auch auf der nachfolgenden Seite. Da gehört der Kaufpreis dazu, die Altersvorsorge und der Finanzbedarf des Unternehmens in den kommenden Jahren. Im Führungsbereich muss entschieden werden, ob sofort oder sukzessive übergeben wird. Sind alle Punkte geklärt, sollte das Konzept vertraglich abgesichert und steuerlich optimiert werden. Auf der WebsiteNachfolge-in-Deutschland.de gibt es mit dem Nachfolgefahrplan ein kostenloses Tool, das alle wesentlichen Schritte strukturiert.

Haustex: Stichwort Steuern:
Machen Schenkungen in Familien-
unternehmen Sinn, um Steuern zu
sparen?

Felden: Die Schenkung ist kein Patentrezept, aber tatsächlich eine häufige Lösung. Wenn ich weiß, dass mein Unternehmen in der Familie übergeht, ergibt es auch durchaus Sinn, über frühzeitige Schenkungen nachzudenken, um alle zehn Jahre einen recht hohen Freibetrag nutzen zu können.

Haustex: Bleiben wir bei dem
Modell Familie: Selbst wenn alle
Formalitäten geklärt sind, birgt
diese Konstellation noch viel
Konfliktpotenzial.

Felden: Das ist für beide Seiten eine Gratwanderung. In Familienunternehmen gibt es bei einer Übergabe ja selten einen klaren Cut, sondern eine Übergabephase. Als Senior muss ich lernen, dass ich nicht mehr der Macher bin, sondern in zweiter Reihe als Coach agiere, der seine Erfahrungen einbringt, vor einigen Fehler bewahrt, andere aber auch zulässt. Das ist eine ungewohnte Situation für klassische Unternehmer.

Haustex: Haben Sie einen Tipp, wie
die Übergabephase am besten
gelingt?

Felden: Das Erfolgsrezept ist eigentlich simpel: Klare Abstimmungen, klare Pläne und reden, reden, reden. Vor allem ist es wichtig, abzustimmen, wer wo was entscheiden darf und wer wo die Finger raushalten muss.

Haustex: Also eine klare Aufteilung
von Verantwortungsbereichen. Wie
lange sollte so eine Übergangsphase
dauern?

Felden: Das ist extrem individuell und hängt auch davon ab, wie gut sich die Parteien verstehen. Häufig kommt eine Zeit, da drängelt der Junior, weil er weiß, dass er es jetzt kann. Zeitgleich zögert der Senior, weil er das auch so sieht, aber fürchtet, dass der Nachwuchs einiges anders macht als er es sich wünscht. Das ist beispielsweise ein Punkt, wo ein klarer Cut ratsam ist, der auch nach außen dokumentiert: Hier hat der Machtwechsel stattgefunden.

Haustex: Wie kann so ein Cut
aussehen?

Felden: Wenn es um eine innerfamiliäre Nachfolge geht, können Junior und Senior etwa die Büros tauschen. So sehen auch die Mitarbeiter, dass der Machtwechsel stattgefunden hat und wissen, woran sie sind.

Haustex: Für den abgebenden
Unternehmer heißt das endgültig
loszulassen. Kein leichter Schritt.

Felden: Ganz klar. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, dass der Senior in den Beirat geht. So hat er keine operative Verantwortung mehr, kann das Unternehmen aber noch ein Stück weit begleiten.

Haustex: Der Weg einer Geschäfts-
übergabe ist lang. An welchem
Punkt ist es sinnvoll, sich Beratung
zu suchen?

Felden: Häufig wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht und mit dem Steuerberater über eine steuerlich optimale Lösung gesprochen, bevor die Ziele der Nachfolge klar sind. Ich rate, schon relativ früh im Prozess jemanden an Bord zu holen, der die Beteiligten durch den Prozess leitet und den Überblick hat.

Haustex: Laut KfW bremst die
Corona-Krise den Nachfolge-
prozess in Deutschland. Wie sehen
Sie das?

Felden: Corona wirkt wie ein Brennglas auch auf das Thema Nachfolge. Es gibt Nachfolgen, die tatsächlich rausgeschoben werden, etwa weil der Senior seinen Kindern den Laden im Moment nicht zumuten will. Es gibt aber auch Unternehmer, die gerade jetzt auf eine schnelle Nachfolge drängen - zur Not mit Schaden. Man kann nicht eindimensional sagen, der Nachfolgeprozess wird gebremst, er wird vielmehr unkalkulierbar.

Haustex: Und nach der Krise? Wird
beispielsweise der demografische
Wandel die Nachfolgersuche künftig
weiter erschweren?

Felden: Wenn wir so weitermachen wie bisher: ja. Wir sollten dringend brach liegende Nachfolgerpotenziale erschließen. Ich denke da insbesondere an Gründer, die eigentlich ein klassisches Business aufbauen wollen. Warum sollten die nicht stattdessen einen bestehenden Betrieb übernehmen, den sie dann innovieren?

Haustex: Unternehmer, die künftig
auf Nachfolgersuche gehen,
sollten also auch mal andere Wege
beschreiten

Felden: und Chancen darin sehen, jemanden zu finden, der auf den ersten Blick vielleicht nicht perfekt zu ihnen zu passen scheint, aber unternehmerisches Potenzial hat.
aus Haustex 05/21 (Handel)