Die Bodenbranche auf der Suche nach dem neuen Normal

Die belgische und niederländische Bodenbelagsindustrie profitiert von den Folgen der Covid-19-Pandemie, leidet gleichzeitig aber auch enorm unter der Krise. Ähnlich ambivalent blicken die Verantwortlichen in die Zukunft. Sie befürchten nach Renovierungsboom, Preisexplosion und Lieferengpässen ein wirtschaftlich verhaltenes Jahr 2021 - sehen allerdings auch Wachstumsbereiche.

Die große Frage unserer Zeit ist: Wie geht unser soziales und wirtschaftliches Leben weiter - nach und mit der Corona-Pandemie? Wie sieht das neue Normal aus? Die Redaktion Boden von BTH Heimtex hat nach Antworten für die Bodenbelagsbranche in Deutschland, Österreich und der Schweiz gesucht. Und die kompetentesten Ansprechpartner bei diesem Thema sind die Verantwortlichen der belgischen und niederländischen Bodenbelagsindustrie. Denn die Hersteller beherrschen nicht nur den deutschsprachigen, sondern auch den europäischen und in manchen Belagsgattungen den globalen Markt.

Bildschirmmüde

Unser Austausch mit den Verantwortlichen hat wie im vergangenen Jahr virtuell per Videogespräch stattgefunden. Das neue Normal lässt grüßen. Alle sind mittlerweile routiniert in der Nutzung der digitalen Kommunikation. Sie wird bleiben, weil sie den Austausch vereinfacht und effizient macht. Doch alle sind auch bildschirmmüde und sehnen sich nach echten Kontakten, persönlichem Austausch und Miteinander mit Kunden, Geschäftspartnern, Kollegen und Mitarbeitern.

Was unseren Gesprächspartnern aber derzeit am meisten fehlt: In der Lage zu sein, eine fundierte Prognose für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Bodenbelagsmarktes abzugeben. Das erste Corona-Jahr 2020 hat alle Hersteller wie auf einer Achterbahnfahrt durchgeschüttelt. Am Ende aber sind alle durchgekommen - der eine Hersteller mit mehr, der andere mit weniger Blessuren.

Forecast ist schwierig

Zum Start in die zweite Jahreshälfte 2021 stochern die Verantwortlichen mehr oder weniger im Nebel und müssen auf Sicht fahren. Es sei noch nie so schwer gewesen, einen belastbaren Forecast zu machen, haben wir häufig gehört an den Bildschimen. Denn niemand weiß, auf welchem Niveau sich die private Nachfrage nach Bodenbelägen und Co. nach dem Abflauen des coronabedingten Renovierungsbooms einpendeln wird. Manch ein Vertriebsleiter befürchtet Absatzrückgänge und nennt zwei Hauptgründe: Die meisten Wohnungen und Häuser sind jetzt renoviert. Die Menschen geben ihr verfügbares Einkommen für Dinge aus, die angesichts der Corona-Lockerungen wieder einigermaßen normal möglich sind: Urlaub, Essen gehen, Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie andere Freizeitaktivitäten.

Die zweimaligen Preiserhöhungen bei Bodenbelägen, die die Branche so noch nie erlebt hat, die Rohstoffverknappung, die Lieferengpässe und eine Corona-Pandemie, die sich angesichts immer neuer Virus-Varianten scheinbar endlos hinzieht, erschweren eine belastbare Absatzprognose zusätzlich. Homeoffice, Kontaktbeschränkungen und abgesagte Messen, Branchenveranstaltungen und Kundentermine erschweren es den Verantwortlichen zusätzlich, ein Gespür für die Stimmung, aktuelle Produkttrends und Nachfragepräferenzen, sprich für den Markt, zu entwickeln.

Trotzdem herrscht Optimismus

Trotz all dieser Widrigkeiten, mit denen die Hersteller konfrontiert sind, haben wir in unseren Recherchegesprächen viele Entscheider erlebt, die optimistisch in die Zukunft blicken. Sie investieren beispielsweise in neue Lager- und Logistikzentren wie Vebe, erarbeiten sich digitale Sichtbarkeit mit Hilfe von Influencern wie Associated Weavers, kaufen neue Tuftinganlagen wie Lano, bauen eine komplett neue Business-Unit für Teppichfliesen auf wie Betap und erwecken altehrwürdige Marken wie TWN und Dura zu neuem Leben wie die Condor-Gruppe. Was die Hersteller konkret machen und planen, lesen Sie in den Porträts ab Seite 44.

Die wichtigsten Erkenntnisse und Trends aus unserem Austausch mit der Industrie fassen wir hier zusammen:

1. Nachhaltigkeit:
Mittlerweile ein Muss

Die Hersteller nehmen das Thema in den Fokus. Die große Mehrheit hat konkrete Maßnahmen ergriffen, investiert Geld in Maschinen und Produktentwicklungen oder hat bereits Bauvorhaben beispielsweise mit zirkulären Nadelvliesböden realisiert. Die Zeiten des Wegduckens und Durchwurschteln sind endgültig vorbei!

2. Digitale Sichtbarkeit:
Es geht nicht mehr ohne

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie hat heute auch der letzte Bodenbelagshersteller die Notwendigkeit erkannt, in der digitalen Welt präsent zu sein. Während manche sich mit einer neuen Webseite zufrieden geben, schöpfen andere das Potenzial von Social-Media voll aus und arbeiten mit Influencern zusammen. Na endlich!

3. Neue Online-Vertriebspartner:
Viel Potenzial

Die Onlinewelt hat auch Bodenbelägen wie digitalbedrucktes CV und Kunstrasen neue Absatzmöglichkeiten geschaffen. Manch ein Hersteller unterhält mit diesen spezialisierten Pionieren, die Konfektion und Abwicklung übernehmen, heute lukrative Vertriebspartnerschaften mit viel Potenzial für die Zukunft.

4. Kunstrasen:
Grün, grün, grün sind alle meine ...

Dass der Kunstrasenmarkt in Deutschland auf Hochtouren läuft, lesen Sie an dieser Stelle seit einigen Jahren in Dauerschleife. Entschuldigung, wenn ich mich ständig wiederhole. Aber die grüne Ware hat nach wie vor einen richtigen Lauf ...
| Jochen Lange
Die Bodenbranche auf der Suche nach dem neuen Normal
Foto/Grafik: IVC Group
Der Hauptstandort von IVC im flämischen Avelgem bei Tagesanbruch. Was die Zukunft für die Bodenbelagsbranche bringt, können viele Hersteller momentan schwer einschätzen.
aus BTH Heimtex 09/21 (Bodenbeläge)