Die Innenstadt wieder zum "Place to be"machen
Das Onlinemagazin Lifestyles Lab hat untersuchen lassen, warum Menschen online oder offline kaufen und was das für den stationären Handel und für die Innenstädte bedeutet. Die Studie nennt auch Ansatzpunkte, um die City wieder zu einem "aufregenden Ort" zu machen.Dass der stationäre Handel in einer Krise steckt, ist ebenso wenig eine neue Erkenntnis wie die Tatsache, dass die Corona-Beschränkungen die Situation weiter verschärft haben. Was das genau bedeutet und was dafür getan werden muss, damit der Handel in den Innenstädten eine Zukunft hat, dem geht eine repräsentative Studie zum Einkaufsverhalten der Deutschen im Auftrag des Onlinemagazins Lifestyles Lab nach. Es gehört zu Fashion ID, einem Internet-Modehändler.
Nur eine 3+
für die Innenstädte
Den Status quo in vielen Stadtzentren beschreibt die Studie so: "steigende Mieten, leere Geschäfte, öde Fußgängerzonen, zu viele Autos". Das passt zu den Erkenntnissen, die das IFH Köln in seiner alle zwei Jahre durchgeführten Erhebung "Vitale Innenstädte" gewinnt. 2018, also noch vor Corona, bekamen die zur Bewertung gestellten 116 deutschen Stadtzentren als Schulnote im Durchschnitt eine "Drei plus".
Seitdem hat Corona dazu geführt, dass die Verbraucher verstärkt online einkaufen. Bereits im Mai 2020 meldete der Zahlungsdienstleister Mastercard, dass 52 % der Deutschen ihre Onlinekäufe erhöht hätten; da hatte die Pandemie in Deutschland gerade erst begonnen.
Lediglich 45 % kaufen "gern" stationär
Und so erklommen die ohnehin stetig wachsenden Onlineumsätze in den zurückliegenden Monaten immer neue Rekordmarken. Für Juli bis September 2021 verzeichnete der Branchenverband BEVH das stärkste Wachstum in einem dritten Quartal seit 2017. Laut Handelsverband Deutschland (HDE) hat sich der Anteil des Onlinehandels am Umsatz im Einzelhandel zwischen den Jahren 2000 und 2020 von 0,3 auf 12,6 % erhöht. Das Bild für den Handel vor Ort noch weiter verdüstern diese Zahlen aus der Studie von Lifestyles Lab: Lediglich 13,6 % der Befragten nutzen den stationären Einzelhandel zum (Schaufenster-)Bummeln. Gerade einmal 7,7 % sehen Shoppen als soziales Ereignis.
Angesichts dieser Werte laufen die Innenstädte Gefahr, ihre Funktion als soziale und kommunikative Zentren zu verlieren. Als Orte, an denen Menschen verweilen, sich mit Freunden treffen, einkaufen und ihre Freizeit verbringen. Wenn sie das aber nicht mehr sind, hat der Einzelhandel hier keine Zukunft.
Schon jetzt gaben lediglich 45 % gegenüber Lifestyles Lab an, gerne im stationären Einzelhandel einzukaufen. Das ist nicht einmal die Hälfte der Befragten. Andererseits gehen aber auch nur 17 % nicht gerne stationär einkaufen - weniger als ein Fünftel. Und viele Verbraucher sorgen sich inzwischen um die Zukunft des Einzelhandels in ihrer Region und kaufen bewusst lokal ein. Auch das mit eine Folge von Corona, diesmal eine positive für den Handel.
Die Jugend setzt auf das Internet
Das Kaufverhalten ist auch eine Frage des Alters. Die Unternehmensberatung KPMG beziffert in der Generation Z (18 bis 24 Jahre) den Anteil derer, die ausschließlich oder überwiegend im Netz einkaufen auf 56 %. Bei den Millenials (25 bis 39) sind es immerhin noch 43 %. In der Generation X (40 bis 55) und bei den Babyboomern (56 bis 89) sind es mit 29 beziehungsweise 23 % deutlich weniger (siehe Grafik unten rechts).
Zumindest gibt es noch immer in allen Altersgruppen Konsumenten, die offline kaufen. Wobei die Trennung in Onlineshopping und Einkaufen vor Ort quer durch alle Käuferschichten als zunehmend veraltet empfunden wird, wie Lifestyles Lab betont. Darauf müssten sich die innerstädtischen Händler einstellen. Dass viele Händler während der Lockdowns auf Click & Collect (vorbestellte Ware im Laden abholen) umgestellt haben, war dementsprechend eine gute Idee. Nur haben leider 81 % der Befragten dieses Angebot weder vor noch während der Pandemie genutzt, stellt die Studie fest.
Aber es ist nicht allein der Handel, der sich dem veränderten Konsum- und Freizeitverhalten stellen muss. Auch Kommunen und Vermieter sehen sich herausgefordert, die Innenstädte so zu gestalten, dass die Menschen sich dort gerne aufhalten und dort auch einkaufen. "Auch" einkaufen, denn wenn das Shoppen von zuhause aus so einfach möglich ist, braucht es neue, zusätzliche Anreize, um die Verbraucher in die City zu locken.
Ansatzpunkte für Handel,
Vermieter und Kommunen
Aktuell seien die Innenstädte zu sehr auf den Handel fixiert. Stattdessen brauche es eine lebendige Mischung aus Tourismus, Restaurants und Cafés, Wohnen, Arbeiten und Kultur - und auch Geschäften. Möglichkeiten dazu sieht man bei Lifestyles Lab in einer ganzen Reihe von Themen, die Engagement von unterschiedlichen Seiten erfordern.
Mobilität
Die Innenstadt muss leicht erreichbar sein, wobei das Auto idealerweise draußen bleiben sollte. Dazu müssen die verschiedenen Verkehrsmittel miteinander vernetzt werden, etwa indem ich das E-Bike an der Endhaltestelle zusammen mit meinem Busticket buchen kann. Barrierefreiheit ist ebenfalls wichtig, gerade vor dem Hintergrund, dass gegenwärtig vor allem ältere Semester stationär einkaufen.
Digitalisierung
Neben Click & Collect/Meet oder einer Online-Kaufberatung sollen digitale Angebote den Einkauf vereinfachen oder zum Erlebnis machen. Möglich wären Service-Roboter, In-Store-Navigation oder die Just-Walk-Out-Technologie (Bezahlen im Vorbeigehen per App).
Integration des Smartphones
Smartphones sind allgegenwärtig. So könnte doch beispielsweise Werbung auf dem Display erscheinen, wenn der Kunde an einem Geschäft vorbeigeht.
Verbinden und aufwerten
von öffentlichen und privaten Räumen
Den Besuchern der Innenstädte soll sich ein authentisches Gesamtbild bieten: attraktive Angebote und eine lebendige Öffentlichkeit für Wohlgefühl und Erlebniswert. Dazu gehören eine Sicherheit und Sauberkeit vermittelnde Umgebung, ansprechend gestaltete Fassaden, begrünte und konsumfreie Verweil- und Ruhezonen sowie ein Management der Leerstände.
Ladenöffnungszeiten einheitlich gestalten
Hier ist die Selbstorganisation des Handels gefordert. Ob eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten dem Ziel einer Belebung der Innenstädte und der Förderung der lokalen Beschäftigung dient, sei noch nicht ausreichend untersucht.
Einkaufsbequemlichkeit erhöhen
Annehmlichkeiten des Onlinehandels wie Same day delivery (Lieferung am Tag der Bestellung) oder Click & Collect gilt es im stationären Handel zu adaptieren. Dabei könnten gemeinschaftliche Paketboxen, Drive-in-Schalter oder ein Lieferservice helfen.
Einkaufsatmosphäre fördern
Mit einem umfassenden und inspirierenden Sortiment, freundlicher, kompetent-individueller Beratung, ansprechender Ladengestaltung und Warenpräsentation sowie einladender Schaufensterdekoration entsteht eine entspannte und zugleich stimulierende Einkaufsatmosphäre wie sie der Onlinehandel nicht bieten kann. Parallel müssen die Dienstleistungs- und Serviceorientierung ausgebaut und das Personal entsprechend geschult werden.
Marktplätze
Der stationäre Handel, Wohlfühloasen, Orte für Kultur, Bildung und Freiräume für eigene Gestaltung müssen in den Städten zu individuellen Anziehungspunkten werden.
Shoppingevents und exklusive Angebote
Kundenbindung über Einzigartiges statt über Rabatte. Die Möglichkeit, neue Kollektionen vor allen anderen zu kaufen, Networking-Veranstaltungen oder Partys sind dafür Beispiele.
Das Ziel muss sein, die Innenstadt wieder zum unverzichtbaren "Place to be" zu machen, lautet das Fazit von Lifestyles Lab, "einem individuellen und aufregenden Ort, den es so noch nicht gibt. Bei dem es Dinge zu sehen, zu erleben und zu kaufen gibt, die es sonst nirgendwo gibt. Wo neue Kombinationen von Dienstleistungen, Handel, Beratung, Gastronomie, Bildung, Kommunikation und Kunst ausprobiert werden und sich Menschen mit vielen verschiedenen Vorlieben und Hintergründen bewegen."
Thomas Pfnorr
aus
BTH Heimtex 12/21
(Handel)