Kleiner Fehler - Großer Schaden: Schwindverhalten führt zu Rissen im Sichtestrich
Fußbodenkonstruktionen zählen zu den komplexesten und am höchsten belasteten Bauteilen - schon kleine Fehler können hier große Auswirkungen haben. Dabei hat jede Baustelle ihre eigenen Tücken. Oft zeigt sich im Schadensfall erst anhand der Ursachenforschung, worauf ein Verleger alles achten muss. FussbodenTechnik deckt in Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigen anhand realer Schadensfälle mögliche Fehlerquellen auf. Diesmal geht es um den Neubau eines Objektgebäudes, das sechs großflächige Mietflächen auf drei Geschossen mit einem Sichtestrich aufweist.Ein Estrichleger erhielt den Auftrag, einen Sichtestrich auf Trennlage gemäß DIN 18560 Teil 4 in einem großflächigen Objekt auf drei Stockwerken einzubauen. Das rechteckige Gebäude verfügt in der Mitte über ein großzügiges Treppenhaus sowie einen Fahrstuhl. Jeweils rechts und links verlaufen zwei Mieteinheiten von jeweils rund 500 m
2 Fläche in offener Bauweise mit bodentiefen Fensterfronten.
Der geplante Boden mit einer Aufbauhöhe von 10 cm hätte ursprünglich als konventionelle schwimmende Estrichkonstruktion mit einem Calciumsulfatestrich und einem Designbelag erstellt werden sollen. Im Zuge der Vermietung wurde im Erdgeschoss eine Ladeneinheit an eine Werkstattkette vermietet. Der Mieter ließ hierzu von einer spezialisierten Firma einen flügelgeglätteten ternären Schnellzementestrich auf Trennlage verbauen. Da dieser Boden den Bauherrn überzeugte, sollten alle anderen Einheiten ebenfalls als flügelgeglätteter Sichtestrich hergestellt werden. Aus Kostengründen wurde mit einem Estrichleger nach einer günstigeren Variante gesucht.
Die Wahl fiel auf einen im Fahrmischer angelieferten Betonestrich, der in 100 mm Dicke gepumpt, abgezogen und anschließend geflügelt wurde. Zum Flügeln wurde eigens ein Betonglättbetrieb beauftragt, der die Fläche von jeweils rund 500 m
2 an einem Tag einbaute und oberflächenfertig flügelte. Die Flächen wurden rund 48 Stunden nach dem Einbau mit Fugenschnitten in Feldgrößen von 80 bis 100 m
2 eingeteilt. Zunächst war der Bauherr äußerst zufrieden mit dem optischen Erscheinungsbild, sodass die Abnahme ohne Mängel erfolgte. Nach ungefähr sechs Monaten, in denen die Einheiten nicht genutzt wurden, zeigten sich erste Risse im Boden. An den Fugen konnten zudem die ersten Aufwölbungen wahrgenommen werden.
Schaden
Risse und starke Schüsselungen
in allen Flächen
Der Sachverständige wurde anschließend beauftragt, die gesamten Flächen auf Risse und Schüsselungen zu untersuchen. Zum Zeitpunkt des ersten Ortstermins waren der Bauherr und der Estrichleger mittlerweile derart zerstritten, dass eine gemeinsame Begehung nicht möglich war. Der Bauherr teilte mit, dass der Estrich mittlerweile seit mehr als zwei Jahren verbaut sei und sämtliche Maßnahmen wie Befeuchten, Ab-decken und Beschweren nicht fruchteten.
Da die Einheiten vermietet wurden und der Innenausbau mit dem Stellen von Bürowänden erfolgte, musste eine schnelle Lösung gefunden werden. Aus diesem Grund entschied sich der Bauherr dazu, die Flächen nun doch mit einem Designbelag zu belegen. Die Überprüfung des Sichtestrichs zeigte Aufschüsselungen an den Randbereichen und Schnittfugen von mehr als 15 mm. In nahezu jedem Estrichfeld konnte festgestellt werden, dass der Estrich zusätzlich rechtwinklig gerissen war. Da auf dem Untergrund nun ein elastischer Designbelag verlegt werden sollte, fand die DIN 18365 "Bodenbelagarbeiten" Anwendung, im Besonderen der Teil 3, zur Ausführung.
In der Norm heißt es unter Punkt 3.1.1:
Als Bedenken nach § 4 Abs. 3 VOB/B können
insbesondere in Betracht kommen:
-größere Winkel- und Ebenheitsabweichungen
des Untergrundes als nach DIN 18202
"Toleranzen im Hochbau - Bauwerke" zulässig
-Risse im Untergrund
-nicht genügend trockener Untergrund nach
DIN 18560 (alle Teile) "Estriche im Bauwesen"
-nicht genügend feste, zu poröse und zu raue
Oberfläche des Untergrundes
-verunreinigte Oberfläche des Untergrundes,
z. B. durch Öl, Wachs, Farb-, Mörtel- und Gipsreste
-unrichtige Höhenlage der Oberfläche des Untergrundes im Verhältnis zur Höhenlage angrenzender Fläche und anschließender Bauteile
-ungeeignete Temperatur des Untergrundes
-ungeeignetes Raumklima
-fehlende Markierung von Messstellen bei
beheizten Fußbodenkonstruktionen
-fehlendes Aufheizprotokoll bei beheizten Fußbodenkonstruktionen
-fehlender Überstand des Randdämmstreifens
Berechtigterweise meldete der Bodenleger in diesem Objekt gleich mehrere Bedenken gemäß
§ 4 Abs. 3 VOB/B an. Diese waren vor allem: größere Winkel- und Ebenheitsabweichungen des Untergrunds als nach DIN 18202 "Toleranzen im Hochbau - Bauwerke" zulässig, Risse im Untergrund, falsche Höhenlage der Oberfläche des Untergrundes im Verhältnis zur Höhenlage angrenzender Fläche und anschließender Bauteile sowie ein fehlender Überstand des Randdämmstreifens.
Ursache
Schwindverhalten
des Zements und
große Raumgeometrie
Die Ursache der im Bauvorhaben entstandenen Schäden liegt eindeutig im Schwindverhalten der zementären Estrichkonstruktion. Die verbaute Konstruktion musste komplett saniert und mit einem Belag verlegt werden. In diesem Fall ist die Zuordnung für die Schadensursache sehr eindeutig: Der Estrichleger ging mit dem Umstellen der Estrichkonstruktion von Calciumsulfatestrich auf einen Trennlagen-Zementestrich in 100 mm Dicke aus dem Fahrmischer voll in die Verantwortung als Planer. Die DIN 18560-1 verweist bei Dicken über 80 mm auf die DIN EN 206 "Beton": Demnach hätten richtigerweise betontechnologische Grundsätze Anwendung finden müssen. So führte die Erstellung des Sichtbodens in Betonbauweise mit einem Portlandzement ohne Bewehrung oder Schwundkompensierung zum Schaden.
Nach Ansicht des Sachverständigen wurde der optische Anspruch handwerklich vollends zufriedengestellt. Die bauphysikalischen Eigenschaften des verwendeten Zements lassen sich in der DIN 18560-1 aus 02/2021 unter 5.4 Dimensionsstabilität zweifelsfrei in die Schwindklasse SW3 einstufen.
In der Norm heißt es unter Punkt 5.4 zur
Dimensionsstabilität:
Das Schwindverhalten von Estrichmörteln (unabhängig vom Bindemittel) hat maßgeblichen Einfluss auf die Rissgefahr und die Formstabilität von Estrichen (Verformungen in Rand- und Fugenbereichen) sowie auf die planerische Festlegung notwendiger Fugen. Ohne Deklaration muss bei Zement-, Kunstharz- und Magnesiaestrichen von einem "normalen" Schwindverhalten (Schwindklasse SW3) ausgegangen werden.
Die aus optischen Gründen gewählten Flächengrößen von bis zu 100 m
2 sind in der Schwindklasse SW3 viel zu groß gewählt. Daher sind aus Sachverständigensicht die Rissbildungen und Schüsselungen erwartungsgemäß eingetreten.
Als Sanierungskonzept wurden anschließend - abweichend zu dem BEB-Hinweisblatt 6.3 aus 2017 - die Randbereiche eingeschnitten, abgebrochen, kraftschlüssig verharzt und anschließend plangeschliffen. Die vorherigen Maßnahmen mit dem Befeuchten und Beschweren des Bodens hatten zu keiner Verbesserung geführt. Zuvor wurden die Randbereiche und Fugen mit einem Hubwagen und mehr als 1.000 kg Gewicht befahren. Bei diesem nicht normkonformen Belastungstest konnten keine Bewegungen am Estrich festgestellt werden, sodass davon auszugehen war, dass sich die Schüsselungen nach mehr als zwei Jahren nicht mehr zurückbilden werden.
Verantwortlichkeit
Estrichleger und Bauherr
teilen sich die Kosten
Glücklicherweise gelang es dem Sachverständigen, beide Parteien an einen Tisch zu bekommen. Nach langen Gesprächen übernahm der Estrichleger sämtliche Kosten für die Herstellung des Estrichs, der eine normenkonforme Belagsverlegung zuließ. Der Bauherr übernahm anschließend die Kosten für die Belagsverlegung samt der notwendigen Materialien. Die Schlichtung zeigte im Anschluss wieder eindrucksvoll, dass es sich immer lohnt, alle Beteiligten zu involvieren und eine gemeinsame Lösung anzustreben.
Georg Kuntner - der Autor
Gutachter Georg Kuntner ist von der HWK Manhheim Rhein-Neckar-Odenwald ö.b.u.v. Sachverständiger für das Estrichlegerhandwerk.
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aus
FussbodenTechnik 06/21
(Handwerk)