REACH

Erfolgreicher Testlauf bei Mattes & Ammann

700 Seiten Gesetzestext, eine eigene Behörde in Helsinki, die mit der Umsetzung des Regelwerks betraut ist, und laut EU-Umweltkommissar Stavros Dimas die "zurzeit ehrgeizigste Chemikalien-Gesetzgebung weltweit": Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals, kurz REACH, ist für alle Beteiligten eine Herausforderung. Der Textilhersteller Mattes & Ammann, der Veredler Fritz Blanke und BASF haben sich ihr gemeinsam gestellt - und beweisen, dass die Textilherstellung nach REACH-Vorgaben schon heute möglich ist.

"REACH ist bereits am 1. Juni 2007 in Kraft getreten. Aber erst in den nächsten Jahren wird die neue Verordnung ganz konkret ihren Einfluss auf Europas Märkte entfalten", erklärt Andreas Abrath, Leiter des Bereichs Textilchemie in Europa bei BASF. "Wir wollten gemeinsam herausfinden: Kann man schon heute Produkte liefern, die auch in Zukunft dem REACH-Standard entsprechen?" Mit "wir" mein Abrath die Firmen Mattes & Ammann, Fritz Blanke und seinen eigenen Arbeitgeber. Treibende Kraft hinter dieser Frage war von Anfang an das schwäbische Unternehmen Mattes & Ammann. Die nach eigenen Angaben größte Strickerei Europas unterliegt REACH als Textilhersteller zwar nicht direkt, aber doch indirekt über die Zulieferanten, wie zum Beispiel die Blanke KG. Denn auch Veredelungs- und Garnherstellungshilfsmittel, auf die das Unternehmen angewiesen ist, enthalten chemische Bestandteile, die in Zukunft den Vorgaben von REACH entsprechen müssen.

Mattes & Ammann beliefert unter anderem fünf große Automobilhersteller mit Stoffen für Sitze, Autohimmel und Innenverkleidungen, wobei die Lieferverträge oft über Jahre im Voraus geschlossen werden und das schwäbische Unternehmen anzeigepflichtig für jeden sich ändernden Parameter machen. Der Textilhersteller lagert laufend rund 12 Mill. qm Stoff mit unterschiedlichster - auch chemischer - Zusammensetzung ein. Seine Kunden können dabei jederzeit zwischen 800 verschiedenen Farben wählen. Für die Textilveredlung, also Färben oder Ausrüsten dieser Stoffe, sind zahlreiche Farbmittel und Textilhilfsmittel erforderlich, die wiederum aus vielen Einzelkomponenten bestehen. In Zukunft unterliegt jede dieser Einzelkomponenten den Vorgaben von REACH. Wenn ein Hersteller nach Ablauf der Übergangsfrist auch nur einen einzigen Bestandteil eines Produktes nicht unter REACH registrieren sollte, steht dieses Produkt im Verlauf der Kette in Gänze nicht mehr zur Verfügung.

Mattes & Ammann hat daher schnell erkannt: REACH betrifft längst nicht nur die Chemiebranche. Prokurist Werner Moser erklärt: "Es geht hier um sämtliche Güter, die chemische Stoffe enthalten. Die neue Gesetzgebung hat Folgen für jeden, der mit solchen Produkten zu tun hat - selbst wenn er sie gar nicht herstellt, sondern nur verkauft." So entstand der dringende Wunsch, sich näher mit der neuen Verordnung auseinanderzusetzen und ihre Auswirkungen auf die textile Wertschöpfungskette einmal in der Praxis nachzuvollziehen.

Die Verbindung

Um sich mit REACH in dieser Bandbreite befassen zu können, suchte Mattes & Ammann zunächst zwei fachkundige Verbündete: Den Chemiehersteller, der in seiner Funktion am Anfang der Wertschöpfungskette steht, und den Textilveredler als das Bindeglied zwischen Chemikalien- und Textilherstellern. Den Schwaben gelang es schnell, Blanke für ihr Anliegen zu begeistern. Für den Textilveredler aus Bad Salzuflen sind Farbstoffe, Hilfsmittel und Chemikalien feste Bestandteile der Veredelungsprozesse. REACH ist für Blanke darum ein großes Thema und ein solcher "Testlauf" war sehr willkommen. Der Textilveredler erhoffte sich grundsätzliche Erfahrungswerte, was sich durch REACH ändern könnte und welche Chemikalien in einigen Jahren überhaupt noch verfügbar sind.

Bei Mattes & Ammann traute man nur einem Unternehmen eine solch wegweisende Prognose zu: "Wenn die BASF das nicht sagen kann, dann kann es niemand", war sich Moser sicher. Die beiden Unternehmen knüpften bereits in der Vergangenheit als Marktpartner im Textilbereich Kontakte und verfolgten einige gemeinsame Projekte in der Automobilindustrie. Auch für Blanke liegt ein Schwerpunkt in Automobilstoffen, denn die Firma veredelt unter anderem Stoffe für die Nobelmarke Bentley. Was die drei Unternehmen verbindet, ist deshalb neben der gemeinsamen Klientel vor allem ein gemeinsames Ziel: Sie haben den Anspruch, auch in zehn Jahren noch höchste Qualität an ihre Kunden aus der Automobilbranche zu liefern.

Nun sieht sich BASF als weltgrößter Chemiehersteller von REACH so stark betroffen wie kein anderes Unternehmen und beschäftigt sich daher schon seit vielen Jahren intensiv mit der neuen Verordnung. Positiv findet man bei BASF vor allem das Ziel der Gesetzgeber, das bisherige Chemikalienrecht zu harmonisieren und so langfristig für die Sicherheit von Mensch und Umwelt zu sorgen. Sowohl Mattes & Ammmann als auch BASF legen großen Wert darauf, der Verantwortung, die sie für sich selbst ihrer Umwelt gegenüber sehen, gerecht zu werden. Dennoch sind für sie auch die Probleme nicht von der Hand zu weisen, vor die REACH Europas Märkte stellt.

Die Herausforderung

Grundsätzlich bezieht sich REACH nur auf chemische Stoffe in Reinform oder in Präparationen, und nicht auf Endprodukte. Es sei denn, es handelt sich um solche Erzeugnisse wie Textilien, bei denen die Freisetzung einer Substanz beabsichtigt oder vorhersehbar ist (zum Beispiel Duftstoffe), oder in denen besonders besorgniserregende Stoffe enthalten sind. Diese beiden Fälle trafen in dem vorliegenden Beispiel nicht zu. Hersteller von Chemikalien innerhalb Europas sind durch REACH verpflichtet, die Stoffe bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) in Finnland zu registrieren, die sie herstellen oder importieren. Die entsprechende Übergangsfrist ist abhängig von der Produktionsmenge. Chemiehersteller mit einer jährlichen Produktionsmenge von weniger als 100 t haben bis zum 1. Juni 2018 Zeit für die Registrierung. Für Hersteller mit einem Volumen von weniger als 1.000 t im Jahr endet die Frist schon am 1. Juni 2013 und bei einer Herstellungsmenge in der Größenordnung ab 1.000 t jährlich bietet sich sogar nur noch bis zum 1. Dezember 2010 die Gelegenheit, die entsprechenden Unterlagen bei der ECHA einzureichen. Danach gilt: Keine Daten, kein Markt - nicht registrierte Stoffe dürfen nicht mehr gehandelt werden. Die Größenordnung ist enorm: "Wir reden hier von 30.000 verschiedenen chemischen Stoffen, die letztlich bei der ECHA registriert werden müssen", weiß Moser.

Problematisch ist aber vor allem die Tatsache, dass sich REACH als europäische Gesetzgebung nur auf chemische Stoffe bezieht, die in Europa hergestellt, importiert bzw. verwendet werden. Außerhalb der EU können nach wie vor Textilien mit Chemikalien gefertigt und veredelt werden, die nicht dem REACH-Standard entsprechen und dürfen in Europa verkauft werden, sofern sie frei von besonders besorgniserregenden Stoffen sind. "Das ist natürlich erst einmal ein Wettbewerbsnachteil", bringt es Moser auf den Punkt. "Wenn es uns aber gelingt, einen Qualitätsstandard zu etablieren, der alle neuen Anforderungen erfüllt und uns von Herstellern aus dem Ausland abgrenzt, ist das unsere Chance, einen Vorteil aus all dem zu machen." Insbesondere der Konkurrenz aus Fernost, die ihre Produkte günstig auf Kosten der Umwelt und damit letztlich der Gesundheit des Menschen herstellt, möchte Moser so entgegentreten - mit sauberen Textilien, deren Herstellung und Gebrauch Mensch und Umwelt nicht belasten.

Der Beweis

Dieses ehrgeizige Ziel vor Augen, wählten die drei Kooperationspartner exemplarisch einen Autohimmel aus, der in zwei Jahren für einen großen süddeutschen Automobilhersteller in Serie gehen soll. Ihr Anspruch: Das Produkt sollte schon heute allen zukünftigen Anforderungen genügen. Für den Chemiespezialisten war es ein zusätzlicher Anreiz, erstmals eine komplette Wertschöpfungskette für ein Textil mitgestalten zu können.

So erfasste BASF zunächst die Eigenschaften der eingesetzten Textilveredlungsprodukte aus dem eigenen Sortiment. Da auch die erforderlichen chemischen Produkte anderer Hersteller in die Auswahl mit einbezogen werden mussten, informierten sich die dortigen Experten ebenfalls über deren Produkte. Im Anschluss schätzen die Spezialisten des Unternehmens die künftige Verfügbarkeit all dieser Stoffe ein. Ein Teil der Angaben zu Verkaufsprodukten, die REACH künftig fordert, werden von BASF und den meisten großen Chemikalienherstellern bereits jetzt im Sicherheitsdatenblatt kommuniziert. Außerdem erstellt der weltweit aktive Chemiespezialist Sicherheitsdatenblätter für alle Produkte, auch für solche, die kein Gefahrstoff sind. In bereits bei BASF vorhandenen Studien lagen zudem ausreichende ökotoxikologische Informationen zur Beurteilung der Abwassersituation bei Textilveredlern vor, sodass keine neuen Tests erforderlich waren.

"Schließlich kam die erlösende Nachricht von BASF: In genau dieser Zusammensetzung können wir unseren Stoff mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch die nächsten zehn Jahre so bereitstellen", freut sich Moser. Die Erleichterung ist bei allen Beteiligten groß. "Wir haben natürlich auf ein positives Ergebnis gehofft, aber es stand ein großes Fragezeichen darüber", räumt der Vertriebsleiter bei Blanke, Herbert Starz, ein. "Heute haben wir ein gutes Gefühl beim Thema REACH." Ein Gefühl, das die beiden anderen Unternehmen teilen: Mattes & Ammann, die BASF und die Blanke KG haben erstmals bewiesen, dass in Deutschland auch heute schon Textilien produziert werden können, die der neuen Gesetzgebung entsprechen - damit die Chemie auch in Zukunft stimmt.
aus Haustex 09/08 (Wirtschaft)