Diskussion mit Bruno Torresani, Dr. Elena Scapini, Martin Pfeiffer, Aquafil

"Chancen für den höherwertigen Teppichboden"

Die Situation in der Teppichbodenbranche ist paradox: Einerseits zeichnet sich endlich insofern ein Lichtblick ab, als die Nachfrage nach hochwertigen Qualitäten anzieht, andererseits drohen deutliche Preiserhöhungen durch die extremen Rohstoffverteuerungen. Der italienische Teppichfaserhersteller Aquafil hat das bislang weitgehend abgefedert, sieht sich allmählich aber in der Zwickmühle; Bruno Torresani, Dr. Elena Scapini und Martin Pfeiffer analysierten im Gespräch mit Claudia und Michael Steinert die Situation. Kurzfristig sei keine Entspannung bei den Rohstoffpreisen zu erwarten, befürchten sie und werben deshalb in der Branche um Verständnis für dringend notwendige Preisanhebungen.

BTH Heimtex: Die Teppichbodenindustrie beklagt sich bitter, dass die Faserhersteller in diesem Jahr zweistellig die Preise anheben - und das auch noch sehr kurzfristig. Sie würden praktisch mit Tagespreisen konfrontiert, die eine Planung unmöglich machten. Was sagen Sie dazu?

Bruno Torresani: Wir sind auch überhaupt nicht glücklich damit, dass wir höhere Preise verlangen müssen, haben aber angesichts der extremen Verteuerungen auf Rohstoffseite keine Wahl.

BTH Heimtex: Bevor wir zum Thema Preise ins Detail gehen, würden wir gerne zuerst die Situation auf dem Fasermarkt analysieren. Wie stellt sie sich heute dar, wie hat sie sich in den letzten Jahren verändert?

Dr. Elena Scapini: Seit ca. zwei Jahren hat sich der Markt total gedreht. Vorher gab es immer bestimmte Monate, die gut liefen, seit 2002/03 ist das komplett vorbei. Wir können nicht mehr planen, nichts mehr prognostizieren und haben unsere ganze Organisation und Struktur entsprechend geändert.

Torresani: Für uns war 2004 eigentlich das beste der letzten drei, vier Jahre. Das beste Jahr insofern, als wir als Krönung unserer Politik einen optimalen Produktmix realisieren konnten; das heißt, besonders unsere veredelten und unsere hochwertigen Garne waren gefragt, wir konnten unsere Werke damit auslasten. Offen gesagt: Wenn uns die Rohstoffproblematik nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, wäre das Jahr 2004 fantastisch für uns geworden....

Aber schon im Februar begann im Zuge der Erdölverteuerung der Preis für Caprolactam (das Vorprodukt für Polyamid 6, bzw. Nylon, Anm. der Redaktion) anzuziehen; bis Oktober ist der Preis pro Tonne schließlich um 70% auf knapp 1.700 EUR gestiegen. In den ersten Monaten haben wir zunächst stillgehalten, waren dann aber gezwungen, im Frühsommer und dann noch einmal im September etwas von diesen massiven Preiserhöhungen weiterzugeben - in der Hoffnung, dass sich die Situation auf dem Rohstoffmarkt wieder beruhigt. Die Hoffnung war aber vergebens und im November mussten wir die Preise noch einmal anheben, was unsere Kunden verständlicherweise nicht erbaut hat. Wir haben das auch nicht gern gemacht; es war nie unser Stil, unseren Kunden die Preise zu diktieren. Aber dieses Mal hatten wir keine Wahl - wir stehen mit dem Rücken zur Wand, der Druck seitens unserer Zulieferer ist zu stark.

Für uns ist der Caprolactam-Preis seit Februar jeden Monat nach oben gegangen; dafür sind zwei Faktoren verantwortlich: Zum einen die Verteuerungen des Benzens (Benzen, früher Benzol, ein Erdölderivat, ist der Grundstoff für Caprolactam, Anm. d. Redaktion), zum anderen die starke Caprolactam-Nachfrage in Asien. Dort gibt es eine großen Bedarf an Nylon und die Caprolactam-Hersteller können auf Dollarbasis interessante Preise erzielen. .

BTH Heimtex: Von welcher Größenordnung reden wir eigentlich bei Ihren Preiserhöhungen konkret?

Torresani: Insgesamt ca. 50 Cents pro Kilo, wobei wir unsererseits 65 bis 70 Cents verkraften mussten.

BTH Heimtex: Betreffen die Preiserhöhungen Ihre gesamte Produktrange?

Torresani: Ja, weil Caprolactam ja überall eingesetzt wird.

BTH Heimtex: 50 Cents pro Kilogramm sind eine abstrakte Zahl. Können Sie ungefähr sagen, wie viel diese Preiserhöhung für den Quadratmeter Teppichboden ausmacht?

Martin Pfeiffer: Das ist schwer zu sagen, weil das ja von verschiedenen Variablen abhängt. Über den Daumen gerechnet vielleicht 30 Cents pro Quadratmeter - wobei wir hier nur vom Garneinsatz reden. Auch andere Komponenten wie Latex und Trägermaterialien sind teurer geworden.

Scapini: Unser Problem ist auch, dass wir von unseren Vorlieferanten keine längerfristigen Preiszusagen mehr bekommen. Wir wissen heute nicht, was wir nächste Woche bezahlen.

Torresani: Das war vor einigen Jahren noch ganz anders; bis vor ca. fünf Jahren gab es Halbjahres-Preise, dann Quartalspreise, ab Anfang 2004 nur noch Monatspreise. Mit Monatspreisen ist es schwierig zu arbeiten - nicht nur für uns, auch für unsere Kunden, das ist uns schon klar. Sie müssen entscheiden, in welchem Preissegment sie eine neue Qualität positionieren und wissen gar nicht, zu welchem Preis sie das Garn einkaufen.

BTH Heimtex: Wobei das Problem nicht nur Sie betrifft, sondern auch Ihre Wettbewerber....

Torresani: Ich glaube, dass die Preiserhöhungen in diesem Jahr so gravierend waren, dass auch unsere Konkurrenz sie nicht allein getragen hat. So groß sind die Margen in der Chemiefaserindustrie nicht mehr.

BTH Heimtex: Haben die vertikal integrierten Teppichbodenhersteller mit eigener Faserproduktion bessere Möglichkeiten, sich der Verteuerung zu entziehen, indem sie sie innerhalb des Produktionsprozesses kompensieren?

Torresani: Nein, auch sie können sich nicht abnabeln, sondern müssen in den Vorstufen genauso die Erhöhungen tragen wie wir.

BTH Heimtex: Was bedeutet diese Entwicklung überhaupt für die Faserindustrie? Kann es sein, dass dadurch ein Bereinigungsprozess in Gang gesetzt, bzw. eine weitere Konzentration beschleunigt wird?

Torresani: Sie haben Recht: Diese Preiserhöhung zwingt die Chemiefaser-Industrie, ernsthaft zu überlegen, was die Zukunft bringt. Für uns als Aquafil ist dieses Chemiefaser- bzw. BCF-Geschäft unser einziges Bein. Deshalb kämpfen wir darum - vom Inhaber bis zum letzten Arbeiter. Und wir sind wiederum ein Privatunternehmen, Teil der Bonazzi-Gruppe und zwar mit 35 % Umsatzanteil der Garne ein relativ großer; das heißt, das wichtigste Standbein.

Bei anderen Faserherstellern mag das anders sein, wenn sie zu großen Konzernen gehören, für die andere Geschäftsbereiche wichtiger sind.

Unsere Caprolactam-Lieferanten sehen das übrigens ganz nüchtern: Sie gehen davon aus, dass die Preiserhöhungen eine Marktbereinigung nach sich ziehen, nach dem Motto: "Wer gesund ist und genügend Kraft hat, überlebt, die anderen eben nicht." Wobei ich es dahingestellt sein lassen will, ob es gut für den Markt ist, wenn nur wenige Akteure bleiben und womöglich noch die vertikal Integrierten dominieren....

BTH Heimtex: Im Prinzip ist es auch egal - schließlich lassen sich die Marktkräfte kaum beeinflussen. Und für Sie als Aquafil muss es keine Schwäche bedeuten, dass Sie weitgehend von der Teppichbodenbranche abhängen, es kann auch eine Stärke sein, weil Sie damit Ihren Kunden Kompetenz, Konstanz und Kontinuität signalisieren.

Torresani: Richtig. Wir sind heute da und wir werden auch morgen und übermorgen noch da sein. Allerdings müssen wir dazu auch ein wenig Geld verdienen.....

BTH Heimtex: Sie gehen ja schon in die richtige Richtung, indem Sie sich immer mehr auf Spezialitäten und Hochwertgarne konzentrieren und sich so dem Wettbewerb bei den Commodities entziehen, den Sie gegen die großen Vertikal Integrierten ohnehin nicht gewinnen können. Und Sie verschaffen sich eine Alleinstellung bei Ihren Kunden. Oder gibt es Alternativen?

Torresani: Nein, im Prinzip nicht. Ich glaube, letztlich birgt diese schwierige Situation aber auch eine Chance für die Branche: Die Preiserhöhungen machen sich bei den höherwertigen, also höherpreisigen Qualitäten weniger bemerkbar als bei den Billigartikeln. Insofern zwingt diese Preiserhöhung die Teppichindustrie in Richtung höherwertiger Qualität....

BTH Heimtex: Das ist eine Tendenz, die sich ohnehin dieses Jahr bemerkbar macht:Der Großhandel spürt eine verstärkte Nachfrage nach höherwertigen Qualitäten.

Pfeiffer: Diese Entwicklung können wir bestätigen, weil wir das auch in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden merken. Während es noch vor zwei, drei Jahren primär darum ging, wie man ein Produkt preisgünstiger herstellen kann, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen, will man sich heute eher in der Optik oder Konstruktion differenzieren, um sich damit vom Wettbewerb abzusetzen und eine gewisse Alleinstellung zu erreichen.

Das ist auch der einzig richtige Weg. Der Kuchen wird immer kleiner, nur über höherwertige Qualitäten kann man die gleiche oder sogar eine höhere Wertschöpfung generieren.

Wobei man natürlich realistisch sein muss: Nur mit hochwertigen Qualitäten allein kann ein Teppichbodenhersteller nicht überleben, er braucht auch ein gewisses Mengengerüst für seine Produktion.

Torresani: Ich glaube sogar, dass unsere Kunden hier in Europa langfristig gezwungen sind, sich verstärkt auf höherwertige Qualitäten zu konzentrieren, weil bei der Billigware der Druck von außen wachsen wird - und damit meine ich den Druck aus dem Nahen Osten, Ägypten, Arabien. Die dortigen Produzenten haben in den letzten Jahren enorm zugelegt , sind mit den besten Maschinen ausgerüstet und machen richtig Menge. Da droht den Europäern echte Konkurrenz.

BTH Heimtex: Mit vielen Ihrer Spezialitäten zielen Sie mehr auf Objektware. Nun herrscht gerade im Objektgeschäft unverändert Flaute. Wie weit macht Ihnen das zu schaffen?

Scapini: Es stimmt, der Objektmarkt ist immer noch schwach, vor allem in Deutschland. In den Benelux-Ländern zeichnet sich dagegen eine Verbesserung und in den letzten Wochen - wobei ich wirklich nur von Wochen sprechen kann, nicht von Monaten - spüren wir auch eine leichte Belebung in Deutschland. Fragt sich nur, ob sich das konsolidiert oder ob es reiner Zufall ist.

Torresani: Letztlich ist sind Objekt- und Wohnbereich für uns schwierig zu trennen. Früher konnte man genau verfolgen, welche Qualitäten wohin gehen, mittlerweile haben sich die Grenzen vermischt, zumal sich der Wohnbereich in der Qualität nach oben entwickelt hat.

BTH Heimtex: Die Forcierung von höherwertigen Garnen ist ein Weg für Sie als Faserhersteller. Haben Sie andersherum noch Möglichkeiten, zu rationalisieren und Kosten zu sparen?

Torresani: Kaum. Man kann zwar intern hier und da etwas einsparen, aber nicht in größerem Umfang. Wir haben 2001 alles umstrukturiert, die Polymerisation optimiert, ebenso Ausbeute und Geschwindigkeit in der Spinnerei, haben uns in den verschiedenen Werken auf bestimmte Veredlungsverfahren spezialisiert, um ein optimales Ergebnis zu erzielen...mehr können wir im Moment nicht machen.

Und die Chemiefaserherstellung ist kapitalintensiv: Um Qualitätsgarne liefern zu können, müssen Sie alle zwei, drei Jahre in die Maschinen investieren. Wenn Sie das nicht tun, sind Sie ganz schnell nicht mehr konkurrenzfähig - auch, was die Kosten anbetrifft.

BTH Heimtex: Können Sie denn die Komplexität Ihrer Produktpalette reduzieren, um dadurch Kosten zu sparen? Ich kann mich erinnern, dass einer Ihrer Wettbewerber das mal versucht hat.

Torresani: Wir haben in 30 Jahren gelernt, eine vielfältige Produktpalette zu pflegen und trotzdem die Logistik einfach zu halten. Diese Flexibilität macht den Erfolg von Aquafil aus. Wir machen für fast jeden Kunden ein eigenes Produkt, ohne dass unsere Kosten, unsere Logistik oder unser Service darunter leiden. Das liegt daran, dass wir vom Basisgarn her relativ flexibel sind und außerdem unsere Spinnerei so ausgerüstet haben, dass wir problemlos kleine Mengen produzieren können. Nur 8% unserer Produkte sind glatte Commodity-Garne, 92% werden weiter veredelt - gedreht, fixiert usw.

Scapini: Ich kann Ihnen eine Zahl nennen: Wir haben ungefähr 160 Basisgarne, aus denen über 5.000 verschiedene Garnvarianten entstehen, die zum Teil für unsere Kunden personalisiert sind.

BTH Heimtex: Wo wir gerade beim Produkt sind - wie weit sind hier noch Neuentwicklungen zu erwarten oder möglich? Oder ist das Innovationspotenzial bei Teppichfasern ausgereizt?

Torresani: Zumindest bei Polyamid-Garnen und -Polymeren stoßen wir allmählich an Grenzen. Aber es gibt Möglichkeiten mit anderen Polymeren. Wir arbeiten bereits seit über drei Jahren an einem neuen Produkt, das sehr interessant für die Teppichbodenindustrie ist.

Es ist kein Nylon, kein Polypropylen, kein Polyester, ein ganz neues Konzept, ein ganz neues Garn, mit dem viele Nachteile von Teppichböden beseitigt werden können. Wir werden es voraussichtlich im nächsten Frühjahr offiziell vorstellen....


Aquafil - das Unternehmen

Daten und Fakten

Aquafil SpA
Via Linfano 9
I-38062 Arco-Trento
Tel: +39-0464-581111
Fax: +39-0464-532267
e-mail: info.aquafil@gruppobonazzi.com

in Deutschland:
Aquafil Deutschland GmbH
Rheydter Str. 36
41065 Mönchengladbach
Tel: 02161/13003
e-mail: AF@Aquafil.de

Muttergesellschaft: Gruppo Bonazzi, I-Verona

Umsatz (gesamt): 435 Mio. EUR (2003),
- davon Aquafil (synthetische Garne und Polymere) 67% bzw. 291 Mio. EUR,
- davon Teppichgarne: 140 Mio. EUR
- Aquafabric (Stoffe aus natürlichen und synthetischen Materialien) 33%

- Inland: 33%
- Ausland 67%

Werke: 18
Mitarbeiter: 3.128 (2003)
Produktionskapazität:
- Nylon 6-Polymere 85.000 Jato
- Technopolymere 25.000 Jato
- Nylon 6 BCF-Garne 48.000 Jato
- Polypropylen BCF-Garne 7.000 Jato
- Textilgarne: 15.000 Jato
- Synthetische Stoffe: 24 Mio. Lfm/Jahr
- Baumwollstoffe: 36 Mio. Lfm/Jahr


Das Sortiment

BCF Teppichgarne
Werke:
- Aquafil, Arco-Italien
- Julon, Ljubljana-Slowenien
- Aquafil USA, Cartersville-Georgia
- Aqualys, Mouscron-Belgien
Produkte:
- Aqualon Polyamid 6 BCF
- Alto Polyamid 6 BCF
- Alto Chroma Polyamd 6 BCF solution dyed
- Arlene Polypropylen BCF

Textilgarne:
Werke:
- Aquafil Divisione Bulgari Filati, - Mantua-Italien
- Oroslavje-Kroatien
- Julon, Ljubljana-Slowenien
Produkte:
- Ultralon Polyamid 6 und 6.6 Filamentgarne
- Serill Polyester Filamentgarne
-ATV Veredelte technsiche Garne
-Dryarn Polypropylen-Mikrofaser

Technopolymere:
Werke:
- Aquafil Technopolymers, Arco-Italien
- Aquafil, Arco-Italien
- Julon, Ljubljana-Slowenien
Produkte:
- Aquamid Polyamid-Komponenten 6 und 6.6
- Econyl Polyamid-Komponenten für Textilgarne und weitere Produkte

Caprolactam & Chemicals
Werke:
- Cenon, Zilina-Slowakei
- Aquachemia, Zilina-Slowakei
Produkte:
- Caprolactam
- Ammoniumsulfat
- Cyclohexan und weitere Produkte
aus BTH Heimtex 01/05 (Wirtschaft)