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European Green Deal – das kommt auf die Branche zu
Der European Green Deal soll Europa klimaneutral machen. Mit den angekündigten und teilweise bereits angelaufenen Maßnahmen kommen auf die Branche eine Reihe von Veränderungen und gesetzlichen Vorschriften zu. Wir zeigen, wo es aller Voraussicht nach Eingriffe und Verschärfungen geben wird.
Mit dem European Green Deal will die EU Europa bis 2050 zum ersten klimneutralen Kontinent machen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind umfangreiche Maßnahmen und gesetzliche Vorschriften angekündigt, in Vorbereitung oder schon in Kraft getreten.
Für unsere Branche bringt der Green Deal einschneidende Veränderungen. Textilien und Bauprodukte werden im Maßnahmenkatalog explizit genannt, weil sie zu jenen Segmenten gehören, die entweder besonders viele Ressourcen verbrauchen oder ein hohes Kreislaufpotenzial haben. Zudem soll die Regulierung des Finanzmarktes hin zu mehr „grünen“ Investitionen (Taxonomie) für genügend nicht-staatliches Kapital sorgen, um die ehrgeizigen Veränderungen umsetzen zu können. Das bedeutet: Wer frisches Kapital von seiner Bank oder Investoren haben möchte, wird zusätzliche Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen.
Damit Europa klimaneutral wird, will die EU das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abkoppeln. An die Stelle der Wegwerfwirtschaft soll eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft treten, in der nachhaltige Produkte zur Norm werden.
Ökodesign-Verordnung will nachhaltige Produkte zum Standard machen
Mit Waren, wie wir sie heute überwiegend herstellen, funktioniert Kreislaufwirtschaft allerdings wenig bis gar nicht. Um notwendige Neuentwicklungen gleich in die richtige Richtung zu lenken, aktualisiert und erweitert die EU ihre bereits seit 2005 bestehende und 2009 überarbeitete Ökodesign-Richtlinie. Diese stellt bislang lediglich Anforderungen an eine umweltgerechte Gestaltung „energieverbrauchsrelevanter Produkte“ (Kühlschränke, PCs, Fernseher etc.), hat nach Angaben der EU alleine 2021 aber schon zu Einsparungen bei Energiekosten von 120 Mrd. EUR und entsprechender Energiemengen geführt. In Zukunft wird sie als Verordnung mehr Produktgruppen und nicht mehr nur den Energieverbrauch betreffen. Waren sollen dauerhafter, zuverlässiger, wiederverwendbar, nachrüstbar, reparierbar, leichter zu erhalten und wiederaufzubereiten sowie energie- und ressourceneffizienter werden. Stoffe, die die Kreislauffähigkeit behindern, sollen ausgeschlossen sowie Rezyklatanteile vorgeschrieben werden können.
Vorgesehen ist außerdem ein digitaler Produktpass mit Informationen zur ökologischen Nachhaltigkeit. Durch ihn wird der Verbraucher nachhaltige Erzeugnisse leichter erkennen und eine bewusste Kaufentscheidung treffen können. Ebenfalls ließen sich mit den Angaben im Produktpass notwendige Reparaturen und das Recycling vereinfachen. Neben der digitalen Variante wird auch über einen Ausbau von Leistungsklassen-Etiketten nachgedacht, die Produkte in Klassen von gut bis schlecht einstufen, wie das etwa bei der Energieeffizienz von Elektrogeräten schon erfolgreich praktiziert wird.
Die geplanten Vorgaben sollen nicht nur den privaten Konsum verändern. Die Vergabe öffentlicher Aufträge wird durch die Festlegung verbindlicher Kriterien ebenfalls nachhaltiger, so der Plan. Und schließlich enthalten die Vorschläge auch Maßnahmen gegen die Vernichtung nicht verkaufter Ware bis hin zu deren Verbot.
Mit der Ökodesign-Verordnung zielt die EU auf nahezu alle physischen Waren sowie Zwischenprodukte. Lediglich Sektoren wie Lebensmittel, Futtermittel und Arzneimittel werden von ihr nicht berührt. Anders sieht das unter anderem bei Farben, Textilien, Möbeln und Matratzen aus: Weil sie nach einer vorläufigen Bewertung der Kommission eine große Umweltwirkung und erhebliches Verbesserungspotenzial haben, sollen für sie schon in der ersten Phase neue Regelungen erarbeitet werden.
Textilien müssen kreislauffähig werden
Vor allem Kleidung, aber auch Heim- und Haustextilien, Möbelstoffe, Teppichböden oder medizinische Ausrüstung – laut EU-Kommission stehen Textilien bei der Inanspruchnahme von Primärrohstoffen und Wasser von allen Produktkategorien an vierter und als Verursacher von Treibhausgasemissionen an fünfter Stelle. Gleichzeitig werden in Europa jährlich 11 kg Textilien pro Einwohner weggeworfen. Beides soll sich ändern mit Maßnahmen entlang des gesamten Lebenszyklus textiler Erzeugnisse.
Dementsprechend sieht die Ökodesign-Verordnung vor, dass textile Produkte spätestens 2030 länger nutzbar sowie leichter reparier- und recycelbar sind als heute. Darüber hinaus sind verpflichtende Mindestwerte für die Verwendung recycelter Fasern in der Produktion geplant. Der digitale Produktpass soll auch für Textilien kommen.
Vorgesehen sind Maßnahmen zur Bekämpfung der unbeabsichtigten Freisetzung von Mikroplastik aus Textilerzeugnissen, harmonisierte EU-Vorschriften zur erweiterten Herstellerverantwortung bei Textilien und Vorschriften zum Verbraucherschutz hinsichtlich grünen Etikettenschwindels. Gegen den Transport von Textilabfällen in nicht OECD-Länder soll ebenfalls vorgegangen werden.
Soziale Aspekte spielen in der Textilproduktion eine größere Rolle als in anderen Branchen, weil viele (Vor-)Produkte außerhalb Europas gefertigt werden. Die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien zielt daher auch auf die Einhaltung internationaler Arbeitsnormen.
Bauprodukteverordnung wird überarbeitet
Von großer Bedeutung für das Gelingen des Green Deal ist der Bausektor. Die Herstellung von Bauprodukten, die Errichtung von Bauwerken und deren Betrieb sind besonders ressourcenintensiv, sowohl was natürliche Bestandteile als auch was Energie angeht. In der EU entfallen laut Kommission 40 % des Energieverbrauchs auf Gebäude, 15 % der CO
2-Emissionen auf Zement, Stahl, Aluminium und Kunststoffe für den Bau, 30 % des Abfalls auf Bauprodukte. Dementsprechend haben die Maßnahmen als Ziel einerseits mehr Kreislaufwirtschaft, damit weniger Ressourcen verbraucht werden und weniger Abfall entsteht. Andererseits soll über die beschleunigte Renovierung bestehender Gebäude deren Energieverbrauch im Betrieb reduziert werden.
Der Weg dorthin führt unter anderem über die Neufassung der seit 2011 gültigen Bauprodukteverordnung, die mit ihren harmonisierten Rechtsvorschriften das Inverkehrbringen von Bauprodukten innerhalb der EU regelt. Bislang bezog sich diese auf technische Eigenschaften, in Zukunft soll sie darüber hinaus die Nachhaltigkeitsleistung der Erzeugnisse verbessern.
Um die zusätzlichen Ansprüche erfüllen zu können, kündigt die EU-Kommission auch eine Novellierung des Verfahrens zur Ausarbeitung harmonisierter Normen an. So wird die Kommission eingreifen, wenn Normen nicht rechtzeitig bereit gestellt werden oder ihrer Meinung nach von nicht ausreichender Qualität sind. In Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten, der Industrie und weiteren Interessengruppen sollen veraltete Normungsaufträge und Rechtsvorschriften überarbeitet und auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden.
Mehr Kreislaufwirtschaft, das bedeutet auch für Bauprodukte, dass sie länger haltbar sein müssen, reparier- und/oder recycelbar. Hier greift wieder die Ökodesign-Richtlinie. Konkret sieht die geplante Verordnung vor:
• Produkte und ihre Verpackung so zu gestalten und herzustellen, dass ihre ökologische Nachhaltigkeit insgesamt dem Stand der Technik Rechnung trägt;
• rezyklierbaren sowie durch Recycling gewonnenen Materialien den Vorzug geben;
• Mindestanforderungen an den Recyclinganteil und andere Grenzwerte in Bezug auf Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit einzuhalten;
• Gebrauchs- und Reparaturanleitungen für die Produkte in Produktdatenbanken bereitzustellen;
• Produkte und ihre Verpackung so zu gestalten, dass ihre Wiederverwendung, Wiederaufarbeitung und ihr Recycling erleichtert werden.
Der Nachweis über die Einhaltung dieser Anforderungen geschieht über eine technische Dokumentation. Grundsätzlich müssen Hersteller Umweltinformationen über den Lebenszyklus ihrer Erzeugnisse bereitstellen.
Mehr Transparenz, aber auch eine Erleichterung in der Abwicklung verspricht sich die Kommission von der Digitalisierung. Die Neufassung der Bauprodukteverordnung sieht erstmals vor, dass Informationen und Unterlagen in digitaler Form – etwa als digitaler Produktpass – verarbeitet und in einem Informationssystem gespeichert, geteilt und abgerufen werden können.
Thomas Pfnorr
Der Green Deal der EU
Im Dezember 2019 hat die EU-Kommission den European Green Deal vorgestellt. Sein Ziel: Die Netto-Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union bis 2050 auf null zu senken und Europa dadurch zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Schon bis 2030 sollen die CO
2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 % reduziert werden. Ein Fahrplan sieht Maßnahmen für den Übergang in eine saubere und kreislauforientierte Wirtschaft vor.
Mit dem Green Deal soll der Klimawandel aufgehalten, gegen den Verlust an Biodiversität vorgegangen und die Schadstoffbelastung reduziert werden. Der Plan zeigt auf, welche Investitionen erforderlich und welche Finanzinstrumente verfügbar sind und wie ein gerechter und inklusiver Übergang gewährleistet werden kann. Durch die Abkehr von der Wegwerfgesellschaft hin zu nachhaltigen Produkten als Standard für den europäischen Markt sollen die negativen Auswirkungen des Konsums auf Umwelt und Klima reduziert werden. Gleichzeitig erhofft sich die EU die Senkung des Ressourcenverbrauchs sowie mehr Ressourcenunabhängigkeit. Letztere hat vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Situation zusätzlich an Bedeutung gewonnen.
Der Green Deal erstreckt sich auf alle Wirtschaftszweige: Verkehr, Energie, Landwirtschaft und Gebäude, Informations- und Kommunikationstechnik sowie die Stahl-, Zement-, Textil- und Chemieindustrie.
Was ist Kreislaufwirtschaft?
In der traditionellen linearen Wirtschaft werden Produkte nach dem Gebrauch zu Abfall, der auf einer Deponie gelagert oder thermisch entsorgt werden muss. Die eingesetzten Ressourcen gehen dabei verloren. In der zirkulären Kreislaufwirtschaft gibt es stattdessen in sich geschlossene, im Idealfall endlose biologische oder technische Materialkreisläufe. Produkte werden so lange wie möglich benutzt, unter Umständen auch in einer anderen als ihrer ursprünglichen Funktion. Nach der Nutzung erfolgt die möglichst vollständige Wiederverwertung aller Komponenten oder die Zurückgewinnung der Rohstoffe, so dass daraus neue Produkte entstehen können. Abfälle werden auf ein unvermeidbares Minimum reduziert.
Auch Vorteile für die Industrie
Für die Industrie klingt der European Green Deal zunächst nach großen Belastungen von zusätzlichen Dokumentationspflichten bis zur Notwendigkeit, Produkte neu entwickeln zu müssen, um den gestiegenen Nachhaltigkeitsanforderungen gerecht zu werden. Aber die EU-Kommission sieht in den geplanten Maßnahmen auch eine Chance für europäische Hersteller. Erstens sorge die Umsetzung für gleiche Wettbewerbsbedingungen, denn die Verordnung wird für alle Produkte gelten, die in Europa verkauft werden, unabhängig davon, wo sie hergestellt werden. Zweitens harmonisierten die Regelungen bislang unterschiedliche nationale Nachhaltigkeitsanforderungen, was bei Herstellern Kosten und Verwaltungsaufwand für die jeweilige Anerkennung reduziere. Drittens führe einerseits die Herstellung kreislauforientierter und nachhaltiger Produkte zu Kosteneinsparungen, andererseits die erhöhte Qualität der Waren zu Reputationsvorteilen – nicht nur auf dem heimischen Markt, sondern auch international. Viertens verringere sich durch mehr Energieeffizienz und erhöhtes Recycling die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen und Materialien, die für die Produktion importiert werden müssen.
Insgesamt erwarten die Initiatoren durch die Regelungen einen Innovationsschub bei Produkten und kreislauforientierten Geschäftsmodellen rund um Wiederaufbereitung, Recycling und Reparatur sowie generell die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Wirtschaft soll in dem notwendigen Transformationsprozess nicht alleine gelassen werden: Die Kommission verspricht Unterstützung bei Forschung, Innovationen und Investitionen.
Sanierung und Renovierung rücken in den Fokus
Die Auswirkungen des European Green Deal könnten nicht die einzigen Veränderungen für die Baubranche in den kommenden Jahren sein. So will die Bundesregierung den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2030 auf unter 30 ha pro Tag verringern. In der Folge dürfte weniger neu gebaut und stattdessen mehr renoviert und saniert werden. Auch die angestrebten Wohnungsbauquoten müssten dann zum Teil mit Baumaßnahmen im Bestand erreicht werden. Ohnehin sind die Klimaziele nur mit einer energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden zu erreichen; die EU-Kommission spricht von europaweit 35 Mio. Bauwerken, die bis 2030 saniert werden könnten. Und in den Innenstädten kündigt sich eine Umnutzung vieler Gebäude an – ob nun leere Ladenzeilen oder Büros, die durch Homeoffice überflüssig geworden sind.
Mehr Infos im Internet
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Informationen der EU zum European Green Deal