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Auswahl nachhaltiger Bauprodukte – was die DGNB Planern empfiehlt

In einem Leitfaden stellt die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen Prinzipien und Methoden für die Auswahl nachhaltiger Baumaterialien vor. Wir haben uns angesehen, worauf Architekten, Planer und Bauherren aus Sicht der DGNB achten sollten.

Nachhaltige Bauprojekte sind komplex, Architekten, Planer und Bauherren betreten Neuland bei der Auswahl infrage kommender Materialien. Von der Industrie fühlen sie sich nur unzureichend informiert (siehe Was Architekten zu nachhaltigen Bauprodukten wissen wollen). Aber die Probleme beginnen schon früher: „Planende wissen oft nicht, wo sie die nötigen Informationen herbekommen oder welche Fragen überhaupt zu stellen sind“, meint Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführende Vorständin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Das möchte die DGNB mit dem „Report Bauprodukte im Blick der Nachhaltigkeit“ ändern, der den Planern aufzeigen soll, „worauf es bei der Materialwahl wirklich ankommt“, wie es im Untertitel heißt.

Was der mit gut 30 Seiten bewusst kompakt gehaltene Leitfaden nicht enthält, sind konkrete Empfehlungen für bestimmte Materialien. Dazu sei das Thema zu vielschichtig, die eine richtige Lösung gebe es oft nicht. Und so wie bei der ganzheitlichen Betrachtung eines nachhaltigen Bauvorhabens zwangsläufig Zielkonflikte auftreten, sei auch eine pauschale Unterteilung in „gute“ und „böse“ Produkte nicht zielführend. Dieses Verständnis kommt in den „Fünf Prinzipien für die nachhaltige Materialwahl“ zum Ausdruck, die am Anfang des Reports stehen:

1. Das richtige Maß finden (Suffizienz)
Die Komplexität des Bauens und die Überdimensionierung von Bauteilen und Gebäuden hinterfragen und beidem durch „positiven Verzicht“ entgegenwirken.

2. Den Standort einbeziehen
Den Standort, seine Umgebung, das Klima und regionale Rohstoffe berücksichtigen.

3. Im Gebäudekontext denken
Wirkung und Nutzen des Bauproduktes im Kontext seiner Funktion und in Wechselwirkung zu anderen Materialien bewerten.

4. In Hierarchien planen
Definierte Nutzungsphasen, Schadstofffreiheit und die Austausch- und Rückbaubarkeit beachten.

5. Labels richtig einordnen
Produktsiegel und -zertifikate nur für die tatsächlich zugesicherten Eigenschaften berücksichtigen.

Auf dieser gedanklichen Grundlage geht es anschließend hinein in jene vier Themen, die laut DGNB für die Auswahl nachhaltiger Bauprodukte die höchste Relevanz haben: der Schutz des Klima, die Schonung der Ressourcen, der Schutz von Gesundheit und Umwelt sowie die Nachhaltigkeit der Lieferketten.

Klimaschutz durch ganzheitliche Betrachtung

Klimaschutz, das bedeutet die Reduktion von Treibhausgasen (THG). Und zwar nicht erst im Betrieb eines Gebäudes, sondern schon bei der Produktion der Baustoffe, während der Bauphase und am Ende der Nutzung beim Rückbau. Diese sogenannten grauen Emissionen gilt es zu senken. Also bei den Bauprodukten einfach zu solchen mit besonders niedrigen THG-Emissionen in der Herstellung greifen? Nein, sagt die DGNB: Es gelte nicht nur die Herstellung zu betrachten, sondern den gesamten Lebenszyklus bis zur Entsorgung – auch inklusive des Transports. Angaben dazu finden sich in Umweltprodukdeklarationen (EPD). „Vorteilhaft sind hier Baustoffe, die regional zur Verfügung stehen und weiterverwendet werden können“, empfiehlt der Leitfaden.

Ebenfalls wichtig ist es, die Ökobilanz nicht nur auf Ebene der Bauteile, sondern für das komplette Gebäude durchzuführen. Die ganzheitliche Betrachtung kann unter Umständen zu der Erkenntnis führen, dass Bauteile mit einer weniger günstigen THG-Bilanz für das Gesamtergebnis besser geeignet sind als solche, die für sich gesehen klimafreundlicher sind.

Ressourcenschonung durch zirkuläres Bauen

Ressourcen lassen sich auf zwei Weisen schonen: direkt, indem man weniger von ihnen verbraucht, oder indirekt, indem man auf bereits vorhandene Materialien als Sekundärrohstoffe zurückgreift – Stichwort: Kreislaufwirtschaft.

Um weniger Ressourcen zu verbrauchen, empfiehlt der Leitfaden die Komplexität im Bauen zu reduzieren. Zwei Fragen helfen dabei: Brauche ich das Bauteil wirklich? Und wird die Funktion auch mit weniger Ressourceneinsatz erfüllt?

Die Kreislaufwirtschaft steckt im Bausektor noch in den Kinderschuhen, die Wiederverwendung von Bauteilen beschränkt sich momentan auf wenige Produkte, etwa Fenster, Türen oder Klinkersteine. Das wird sich nach Überzeugung der DGNB mit dem Aktionsplan der EU für eine Circular Economy ändern. Der sieht unter anderem den Aufbau eines Marktes für Sekundärrohstoffe vor. Die Grundlage für zirkuläres bauen ist jedoch, dass die Baustoffe sortenrein ausgebaut werden können. Darauf sollten Planer bei der Auswahl der Produkte unbedingt achten.

Umwelt-/Gesundheitsschutz durch Verzicht auf Problemstoffe

Zwar verbietet das Chemikalienrecht der EU gefährliche Stoffe in (Bau-)Produkten. Aber die Grenzwerte beziehen sich auf gesunde Erwachsene, nicht auf Kinder oder Menschen mit Vorerkrankungen oder Allergien, weshalb die DGNB den Planern empfiehlt, das Thema Schadstoffe bei der Materialauswahl zu berücksichtigen. Welche potentiellen Schadstoffe ausgewählte Produktgruppen enthalten können, zeigt der Leitfaden in einer Tabelle (siehe Auszug unten).

Um Produkte ohne umwelt- oder gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe zu finden, verweist die DGNB auf ihren eigenen Navigator (dgnb-navigator.de), in dem entsprechende Materialien in die höchste Qualitätsstufe 4 eingeordnet sind. Den Nachweis, die dafür geltenden Anforderungen mit ihren Baustoffen zu erfüllen, können Hersteller mit einer Reihe von Produktlabeln erbringen, die von der DGNB anerkannt werden. Derzeit sind das Blauer Engel, Eco-Institut-Label, Emicode, GUT-Label, Indoor Air Comfort, Natureplus und TÜV Proficert-product Interior.

Eine andere Methode, die Schadstoffbelastung zu minimieren, sieht der Leitfaden beispielsweise im Ersatz chemischer Produkte durch konstruktive Lösungen.

Nachhaltige Lieferketten durch gezielte Nachfrage

Dass bei der Produktion in Deutschland und Europa hierzulande geltende Vorschriften und Standards eingehalten werden, ist anzunehmen. Aber wie sieht es bei den Rohstoffen und Vorprodukten aus, die in einer globalisierten Wirtschaft von überall auf der Welt stammen können? Die Lieferkette sollten Planende nicht außer Acht lassen und sich nur für Bauprodukte entscheiden, deren Hersteller die Einhaltung relevanter ökologischer und sozialer Standards auch jenseits der eigenen Werkstore einfordern und einhalten. Diese Sorgfaltspflicht seitens der Industrie fordert zwar auch der Staat mit dem 2023 in Kraft tretenden Lieferkettengesetz. Aber das gilt zunächst nur für große Firmen ab 3.000, später ab 1.000 Mitarbeitenden.

Architekten und Bauherren wird geraten, sich direkt bei den Firmen über den Stand der unternehmerischen Verantwortung zu erkundigen. Auch Nachhaltigkeitsberichte können dazu Informationen enthalten. Gleiches gilt für Produktlabels, sofern diese die gesamte Lieferkette zertifizieren. Die DGNB selbst hat ebenfalls ökologische und soziale Anforderungen für eine verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung formuliert, die Sie als PDF herunterladen können.

Thomas Pfnorr



Vorbereitet sein auf die Fragen der Planer

Die DGNB hat ihren Leitfaden für Architekten, Planer und Bauherren geschrieben. Aber auch für die Hersteller von Bauprodukten, Groß- und Fachhändler sowie den Handwerker lohnt sich die Lektüre. Denn es sind ihre Kunden, denen die Materialauswahl aus der Perspektive der ganzheitlichen Nachhaltigkeit näher gebracht wird, die Lösungsansätze und Methoden an die Hand bekommen, um die Materialfrage projektspezifisch zu beantworten. Die Macher selbst sprechen von einer Grundlage für die Kommunikation zwischen Planenden und Bauprodukteherstellern. Um auf Augenhöhe miteinander kommunizieren zu können, sollten die Produzenten, Händler und Verarbeiter wissen, mit welchen Fragen sie dabei konfrontiert werden könnten.


Mehr Infos im Internet
- Leitfaden „Bauprodukte im Blick der Nachhaltigkeit“ als kostenloses PDF
Auswahl nachhaltiger Bauprodukte – was die DGNB Planern empfiehlt
Foto/Grafik: DGNB
In ihrem Leitfaden stellt die DGNB Prinzipien und Methoden für die Auswahl nachhaltiger Baumaterialien vor.
Auswahl nachhaltiger Bauprodukte – was die DGNB Planern empfiehlt
Foto/Grafik: DGNB
„Wir sollten uns zuallererst darum bemühen, Ressourcen im Hier und Jetzt zu schonen. Solche Schwerpunktsetzungen finden sich in allen Kapiteln unseres Reports.“ Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführende Vorständin DGNB
Auswahl nachhaltiger Bauprodukte – was die DGNB Planern empfiehlt
Foto/Grafik: DGNB
„Uns war wichtig, keine Pauschalantworten zu liefern, sondern den Blick auf das zu lenken, was für die Zielsetzung eines nachhaltigen Gebäudes wirklich wirkt.“ Johannes Kreißig, Geschäftsführender Vorstand DGNB
Auswahl nachhaltiger Bauprodukte – was die DGNB Planern empfiehlt
Foto/Grafik: SN-Verlag
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