SN-Home - 12/22
Nachhaltigkeit richtig kommunizieren
Verbraucherinnen und Verbraucher sind empfänglich für das Thema Nachhaltigkeit, wollen aber keinen „grünen“ Bären aufgebunden bekommen. Wir geben Tipps für das Kommunizieren nachhaltiger Botschaften, weisen auf Probleme hin und charakterisieren Zielgruppen.
Wenn wie zuletzt im KPMG Consumer Barometer 81 % der Befragten angeben, Nachhaltigkeit und nachhaltiger Konsum seien ihnen wichtig oder sehr wichtig, tun Unternehmen gut daran, das Thema in ihrer Außendarstellung aufzugreifen. Sich im Marketing und in der Werbung als verantwortungsvolle Firma mit nachhaltigen Produkten zu präsentieren, kommt bei Verbraucherinnen und Verbrauchern an. Und weil Nachhaltigkeit so viele Facetten hat, bieten sich je nach Produkt und Zielgruppe (siehe unten „Zielgruppen für nachhaltige Botschaften“) zahlreiche Möglichkeiten, um Beachtung zu finden: je nachdem, ob der Schwerpunkt auf sozialer, ökologischer oder ökonomischer Nachhaltigkeit liegt, etwa mit fairen Lieferketten, Schonung von Ressourcen, CO
2-Reduktion, recyclingfähigen Produkten, gesellschaftlichem Engagement, regionaler Herstellung, umweltfreundlicher Verpackung oder dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe, um nur einige zu nennen.
In der Öffentlichkeit ist aber nicht nur die Aufmerksamkeit für das Thema gewachsen, sondern auch die Sensibilität für sogenanntes Greenwashing, also die Behauptung „grüner“ Fakten zu Produkten oder Unternehmen, die einer Überprüfung nicht standhält. So beschäftigt etwa das Werben mit dem Wort „klimaneutral“ immer wieder die Gerichte (siehe unten „Aktuelle Rechtsprechung zum Begriff ,klimaneutral’“). Haben Konsumentinnen und Konsumenten so etwas früher noch schulterzuckend hingenommen, ist der Imageschaden inzwischen häufig beträchtlich, wenden sich die Menschen anschließend ab von Produkten und Marken und wechseln zu Alternativen, die ihnen in ihren Aussagen und Handlungen glaubwürdiger erscheinen. Solche Alternativen gibt es inzwischen jede Menge, womit wir beim zweiten Problem wären: Es wird gegenwärtig so viel mit Nachhaltigkeit geworben, dass es oft schwierig ist, in diesem vielstimmigen Chor gehört zu werden.
Hier kommen acht Tipps, die Ihnen dabei helfen sollen, die Nachhaltigkeit Ihres Unternehmens und Ihrer Produkte erfolgreich zu kommunizieren:
1. Glaubwürdigkeit als oberstes Gebot
Mit (leeren) Versprechungen kommen Sie nicht weit, die Öffentlichkeit will Taten sehen. Zwar sollten Sie unbedingt die Ziele Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie benennen und sich in Zukunft auch an diesen messen lassen; einen Widerspruch zum Handeln darf es nicht geben. Aber um aktuell glaubwürdig zu sein, ist es sinnvoller zu analysieren, an welchen Stellen Ihr Unternehmen oder Ihr Produkt bereits heute tatsächlich nachhaltig ist und das Erreichte ins Zentrum der Kommunikation zu stellen.
2. Für Transparenz sorgen
Glaubwürdig ist nur, wer seine Aussagen auch belegen kann. Sorgen Sie dafür, dass Nachhaltigkeit bei Ihnen messbar ist, nennen Sie konkrete Beispiele und stellen Sie Ihrer Zielgruppe die dazu relevanten Daten zur Verfügung. Dabei helfen können standardisierte Verfahren etwa für den Nachhaltigkeitsbericht oder Managementsysteme sowie anerkannte und neutrale Siegel und Zertifikate.
3. Informationen niedrigschwellig anbieten
Vielleicht passen nicht alle Belege und Hintergrundinformationen zu Ihren Aussagen auf die Verpackung oder in eine Anzeige. Dann stellen Sie diese der Zielgruppe ergänzend beispielsweise auf einer Webseite zur Verfügung. Das Informationsangebot sollte auf jeden Fall niederschwellig sein.
4. Ehrlich sein
Nachhaltig wird ein Unternehmen nicht von heute auf morgen. Auf dem Weg dorthin gelingt nicht alles sofort, es gibt Rückschläge, Fehler werden gemacht. Nur wer offen und ehrlich über seine Ziele, den Stand der Entwicklung, die Erfolge, aber auch die Misserfolge berichtet, wirkt glaubwürdig und authentisch.
5. Bereitschaft zum Dialog zeigen
Nachhaltigkeit bietet sich geradezu dafür an, mit der Zielgruppe in Dialog zu treten: Nachfragen, Kritik, Anregungen können als Reaktion erfolgen und sind durchaus gewünscht. Seien Sie bereit, die Diskussion zu führen, stellen Sie ausreichend Ressourcen dafür zur Verfügung und nehmen Sie die Reaktionen ernst.
6. Produkte ganzheitlich darstellen
Wird ein Produkt als nachhaltig beworben, sollte sich das auf seinen gesamten Lebenszyklus beziehen. Ist das nicht der Fall oder geht es nur um einen bestimmten Aspekt, muss das kenntlich gemacht werden.
7. Worthülsen vermeiden
Grün, klimafreundlich, regional, nachhaltig – klingt alles gut, die Bezeichnungen sind aber nicht definiert beziehungsweise rechtlich geschützt, die Aussagekraft somit beschränkt und es entsteht möglicherweise der Verdacht, hier würde etwas verschleiert. Nutzen Sie stattdessen Begriffe, die Eigenschaften eindeutig beschreiben.
8. Kreativ, menschlich, stringent kommunizieren
Nachhaltig zu sein, behauptet heute praktisch jeder. Vergessen Sie also die Fußabdrücke aus Gras, grüne Wiesen und Hände, die eine Weltkugel halten. Finden Sie ein Bild, das spezifisch für Ihre Nachhaltigkeit steht und kommunizieren Sie diese Botschaft konsequent über alle Kanäle hinweg. Nutzen Sie statt nüchterner Zahlen lieber plakative Beispiele oder lassen Sie Ihre Nachhaltigkeits-Geschichte von Menschen erzählen.
Unsere Empfehlungen stammen teilweise aus dem Sustainable Product Claims 2.0 Leitfaden von GS1 Germany. Dieser enthält außerdem ein Glossar mit 55 nachhaltigkeitsbezogenen Produktaussagen inklusive Definition, Empfehlungen zur Anwendung, Anwendungsbeispielen sowie dazugehörigen Siegeln und Zertifikaten.
Zielgruppen für nachhaltige Botschaften
Eine Botschaft kommt nur dann richtig an und hat den gewünschten Effekt, wenn sie korrekt adressiert wird und die Erwartung der Zielgruppe erfüllt. Aber ticken alle an Nachhaltigkeit Interessierten gleich und lassen sich deshalb auf dieselbe Art und Weise ansprechen? Nein, meint man bei Ströer. Der Spezialist für Außenwerbung hat in einer Studie sieben Nachhaltigkeits-Typen charakterisiert. Sie bewegen sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Faktoren (siehe Grafik), haben spezifische Motivationen und Einstellungen zur Nachhaltigkeit und repräsentieren insgesamt immerhin rund 33 Mio. Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Es sind im Einzelnen:
Verwerter/in (ca. 11,1 Mio. Personen)
• Stichworte: weitergeben statt wegwerfen; Recycling, Wiederverwertung; Second Hand
• Charakteristik: eher weiblich; eher jung; normalverdienend; in Partnerschaft/verheiratet; berufstätig; lebt eher in der Großstadt
• Kommunikation: nur wenig inszenieren; Mehrwert/Langlebigkeit/Vielseitigkeit herausstellen; Zertifikate und Siegel nutzen
Minimalist/in (ca. 8,1 Mio. Personen)
• Stichworte: jeder Beitrag zählt; das eigene Gewissen beruhigen; nachhaltige Produkte gelten als zu teuer
• Charakteristik: eher weiblich; eher älter; Einkommen zwischen 1.500 und 2.500 EUR; verheiratet/verwitwet; berufstätig oder Rentner; lebt eher im ländlichen Raum
• Kommunikation: positive Bestärkung; kleiner Einsatz/geringe Kosten führen zu gutem Gewissen
Genüssling (ca. 4,9 Mio. Personen)
• Stichworte: Qualität/Funktionalität geht vor Nachhaltigkeit; Bio, weil es besser schmeckt; Genuss steht im Vordergrund; Nachhaltigkeit ist gut, aber kein Auswahlkriterium
• Charakteristik: männlich und weiblich; eher älter; gutverdienend; verheiratet; berufstätig; lebt in mittelgroßen/Großstädten
• Kommunikation: persönlichen (Lust-)Gewinn herausstellen; hohe Qualität zum kleinen Preis; Nachhaltigkeit nicht im Vordergrund, sondern als Add-On
Erbauer/in (ca. 4,5 Mio. Personen)
• Stichworte: Zufriedenheit/Sicherheit durch eigene(n) Anbau/Produktion; Welt so überlassen, wie man sie kennt; selbst aktiv sein und anpacken
• Charakteristik: eher männlich; 50 bis 59 Jahre; gutverdienend; verheiratet; berufstätig; lebt in Kleinstadt/kleinerer Großstadt
• Kommunikation: Aktivitäten zum selbst anpacken oder Interaktion anbieten; realistische Aufforderung zur Initiative, keine „Mammutaufgaben“
Nachhaltigkeitskäufer/in (ca. 1,7 Mio. Personen)
• Stichworte: nachhaltige Produkte statt Verzicht; Kompensationsleistungen; Nachhaltigkeit ist kein Aufwand; alle Freiheiten behalten
• Charakteristik: männlich und weiblich; 16 bis 29 Jahre; Einkommen über 2.500 EUR; ledig oder verheiratet; in Ausbildung oder berufstätig; lebt auf dem Land
• Kommunikation: mit Lustvollem ansprechen; keine Einschränkung durch Nachhaltigkeit; Legitimation für Konsum durch freiwillige Zusatzleistungen anbieten
Missionar/in (ca. 1,5 Mio. Personen)
• Stichworte: die Welt retten; andere überzeugen; sich aktiv einbringen; aktiv in Bewegungen/Organisationen/Demonstrationen
• Charakteristik: eher weiblich; 16 bis 39 Jahre; Einkommen zwischen 1.500 und 2.500 EUR; in Partnerschaft lebend; in Ausbildung oder berufstätig; lebt in Klein-/Mittelstadt
• Kommunikation: emotionslos-nüchterne Ansprache; Produkt-Nachhaltigkeit auf einen Blick sichtbar machen
Ästhetiker/in (ca. 1,1 Mio. Personen)
• Stichworte: Neues entdecken und ausprobieren; auf nachhaltigen Lebensstil angesprochen werden; Entwicklungen/Ideen aktiv verfolgen; mit anderen darüber sprechen
• Charakteristik: eher weiblich; 16 bis 39 Jahre; Einkommen zwischen 2.500 und 4.000 EUR; ledig oder in Partnerschaft lebend; in Ausbildung oder berufstätig; lebt in Mittel-/kleinen Großstädten
• Kommunikation: inszenierte Ansprache, um sich selbst inszenieren zu können; neue und innovative Produkte vorstellen; Hochwertigkeit und Zertifzierungen herausstellen
So unterschiedlich die Typen auch sein mögen: Laut Annina Bleek, Senior Vice President Ströer Media Solutions, muss allen in der Kommunikation die Ernsthaftigkeit der Nachhaltigkeit ebenso deutlich werden wie die Tatsache, dass ein Unternehmen/eine Marke auch in anderen Bereichen nachhaltig agiert. Außerdem empfiehlt sie herauszustellen, welcher positive Effekt mit dem Kauf eines Produktes konkret verbunden ist. Greenwashing sei bei diesen Zielgruppen-Typen keine Option.
Aktuelle Rechtsprechung zum Begriff „klimaneutral“
Neben dem Wort „nachhaltig“ wird aktuell in der Werbung kaum ein Begriff so häufig genannt wie „klimaneutral“. Die inflationäre Behauptung seitens Industrie und Handel ruft Umweltverbände und Verbraucherschützer auf den Plan, die den Verdacht haben, dass hier mit einem nicht genau definierten Terminus Greenwashing betrieben wird. In der
Vortragsreihe „Green Transformation“ der dfv Mediengruppe hat Dr. Tudor Vlah, als Syndikusrechtsanwalt für die Wettbewerbszentrale tätig, die aktuelle Rechtsprechung zusammengefasst.
Grundsätzlich gelten nach seinen Angaben bei umweltbezogenen Werbeaussagen strenge Anforderungen und weitgehende Aufklärungspflichten, weil diese emotional aufgeladen sind und Verbraucher zu wenige Vorkenntnisse haben, um sie ohne Weiteres einordnen zu können. Entscheidend bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung sei nicht etwa eine allgemeingültige Definition des Begriffes klimaneutral, sondern die Frage, wie die Angesprochenen die Werbung ohne weitere Angaben verstehen. Laut Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darf weder ein falscher Eindruck entstehen (Irreführung) noch dürfen wesentliche Informationen vorenthalten werden (Intransparenz).
Grundlagen für die Entscheidung der Gerichte sind die beiden Bedeutungen, die „klimaneutral“ haben kann: die tatsächliche Reduktion der Treibhausgasemissionen auf null oder deren Ausgleich durch Zertifikate. Außerdem spielt das allgemeingültige Verfahren eine Rolle, mit dem Klimaneutralität erreicht wird und bei dem Emissionen 1. gemessen und bilanziert, 2. vermindert und vermieden, 3. wenn nicht anders möglich, kompensiert werden.
In den von Vlah vorgestellten Urteilen haben die Gerichte zumeist gegen die beklagten Firmen entschieden, unter anderem weil:
• nicht angegeben war, auf welche Weise Klimaneutralität erreicht wurde;
• lediglich auf eine Webseite mit weiterführenden Informationen verwiesen wurde;
• weiterführende Informationen auf einer angegebenen Webseite nicht vorhanden waren;
• eine ausreichende Kompensation nicht nachgewiesen werden konnte;
• Emissionen gar nicht erst bilanziert wurden;
• nicht erkennbar war, dass bei der Berechnung einzelne Phasen im Produktlebenszyklus ausgeklammert wurden;
• Verbraucher fälschlicherweise annehmen mussten, das Unternehmen sei insgesamt klimaneutral, nicht nur das Produkt.
Anders urteilten Gerichte, wenn sich die Werbung nicht an Endverbraucher, sondern an Fachkreise richtet. Hier wird teils eine höhere Kompetenz bei der Beurteilung von Sachverhalten rund um Klimaneutralität angenommen.
Wer sein Produkt oder sein Unternehmen als klimaneutral bewirbt, sollte die in der Aufzählung genannten Fehler in jedem Fall vermeiden, Missverständnissen vorbeugen und für Transparenz sorgen. Weil sich in der Regel nicht alle dazu notwendigen Informationen auf der Verpackung unterbringen lassen, ist auch der Verweis auf eine Webseite möglich. Welche Angaben die enthalten muss, hat das Landgericht Frankfurt/Main erläutert (Aktenzeichen 3-10 O 14/22). Neben einer klaren, transparenten und deutlichen Sprache fordert es Informationen:
• zur Bemessungsgrundlage (Unternehmen oder Produkt);
• dem Standard der Berechnung;
• den ausgeklammerten Emissionen;
• dem Umfang eigener CO
2-Reduzierungsmaßnahmen und deren Einsparungseffekt (vorher/nachher);
• zur Art der Kompensation;
• zu Art und Gegenstand des unterstützten und/oder selbst durchgeführten Klimaprojektes und dessen CO
2-Reduzierungseffekt.
EU macht Schluss mit Greenwashing
Im Zusammenhang mit dem Green Deal hat die EU Kommission die europäischen Verbraucherschutzvorschriften überarbeitet und strebt damit ein Verbot des Greenwashings in der Produktwerbung an. Verboten werden sollen unter anderem allgemeine Umweltaussagen wie umweltfreundlich, umweltschonend, klimafreundlich, klimaneutral, öko, ökologisch, grün oder biobasiert. Außerdem Umweltaussagen über das gesamte Produkt, wenn diese tatsächlich nur einen bestimmten Aspekt betreffen. Unzulässig sind dann auch Nachhaltigkeitssiegel, die weder auf einem Zertifizierungssystem beruhen noch von staatlichen Stellen festgesetzt wurden – also Eigensiegel des Anbieters. Wer Aussagen zu künftigen Umweltleistungen trifft – beispielsweise „klimaneutral bis 2030“ – wird die Schritte dorthin durch einen unabhängigen Dritten überwachen lassen müssen.
Gegenwärtig liegt der Entwurf zur Neuregelung beim EU Parlament. Nach dessen Zustimmung muss die Richtlinie in den Mitgliedsstaaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden.
Mehr Infos im Internet
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Leitfaden Sustainable Product Claims 2.0 von GS1 Germany als PDF
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Ströer Zielgruppen-Studie Nachhaltigkeit
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Richtlinien-Entwurf der EU Kommission