SN-Home - 11/08
Wer ausreichend schläft, ist leistungsfähiger
Sich in der modernen Arbeitswelt zu behaupten, verlangt für Unternehmer wie Mitarbeiter, sich vielfältigen Anforderungen meist gleichzeitig zu stellen: wachsendem Leistungsdruck, betrieblichem wie zwischenmenschlichem Wettbewerbsdruck, Innovations-, Veränderungs- und dem daraus resultierenden Druck, ständig irgendwie unter Unsicherheitsbedingungen zu arbeiten. Und letztendlich auch den durch das Handy hervorgerufenen Druck permanenter Erreichbar- und Verfügbarkeit. Daraus resultiert eine beachtliche Belastungsintensität. "Wer ihr nicht im klugen Umgang mit sich selbst überlegt Rechnung trägt, bringt sich rasch an den Rand der Kräfte", sagt die Zürcher Körpertrainerin Benita Cantieni. Und dann wird die Frau, die sich intensiv mit Fragen der Leistungspflege durch die Bewahrung körperlicher Fitness befasst, ganz deutlich: "Wer da mithalten will, muss ‚ausgeschlafen’ sein. Im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinn!" Unausgeruht hielten Geist und Körper diesem Dauerstress nicht lange stand.
Im wenig haushälterischen Umgang mit den eigenen Kräften sieht auch der Aggressionsexperte Jens Weidner, Professor für Erziehungswissenschaft und Kriminologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, eine beträchtliche Gefahr unserer Tage. Der Leistungsbereite, beschreibt Weidner die Problematik, "übertüncht die Erschöpfungssignale, begeistert sich daran, wie lange er arbeiten kann, erlebt Höhenflüge im ‚Workers High’ und registriert erst beim Auftauchen psychosomatischer Symptome, dass Adrenalinausstöße die Kraft nur vortäuschen." An der Gesundheit werde Raubbau betrieben und auch das Sozialleben leide.
Als "Hamster im Laufrad" bezeichnet der Arzt und Psychologe Michael Kastner, Professor für Organisationspsychologie an der Universität Dortmund und Leiter des Instituts für Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie (IAPAM) in Herdecke, dieses Verhalten. Und registriert ebenfalls "mit Sorge, dass immer mehr beruflich hoch Beanspruchte ihre Work Life Balance, die sorgfältige Ausbalancierung von höchster Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Lebensqualität, nicht mehr schaffen." Der wirtschaftserfahrene Wissenschaftler rät deshalb, "sich unbedingt zu bemühen, Balancen zwischen Anforderungen, Ressourcen und Puffern zu finden und in Rhythmen zu verwirklichen."
Dabei kommt es für den Schlafforscher Jürgen Zulley, Professor an der Universität Regensburg, auf einen Rhythmus ganz besonders an: den Tag/Nacht-Rhythmus. Schlaf und Stressstabilität, bestätigt Zulley Cantienis Mahnung, "hängen außerordentlich eng zusammen." Schwedische Studien hätten gezeigt: Burn-out-Patienten konnten wieder in die gleiche Belastungsintensität zurückkehren, wenn sie die Möglichkeit hatten, erholsamen Schlaf zu finden. Stressbelastung werde also nachweislich wesentlich besser verkraftet, würde für eine ausreichende Regeneration in den richtigen Zeitintervallen gesorgt. Und die seien biologisch vorgegeben durch unsere ‚innere Uhr’, der alle Rhythmen unseres Lebens unterstehen und die sie aufeinander abstimmt.
Bei den meisten Erwachsenen tickt diese ‚innere Uhr’ in einem autonomen 25-Stunden-Rhyhtmus. Normalerweise schlafen wir trotzdem in dem 24-Stunden-Rhythmus, den die Erde vorgibt. Der Grund: Unsere ‚innere Uhr’ ist selbst flexibel. Mit diesen biologischen Rhythmen befasst sich die Wissenschaft der Chronobiologie (von griechisch chronos = Zeit), nicht zu verwechseln mit der Biorhythmik, "die zwar in aller Munde, aber kein wissenschaftliches Fach, sondern eher Kaffeesatzleserei" sei, sagt Zulley. Handelten wir diesen biologischen Rhythmen permanent entgegen, könnten wir uns von jedweder Stressstabilität verabschieden.
Entscheidend für belebenden, regenerierenden Schlaf sei weniger die Schlafdauer, von einem absoluten Minimum einmal abgesehen, "sondern die Qualität des Schlafes", sagt Zulley. Und diese Qualität bestimme vor allem der so genannte Tiefschlaf mit seinen charakteristischen Traumschlafphasen ca. alle 90 Minuten. Erholsamen Schlaf dürften wir uns also nicht als einheitlichen Zustand vorstellen, sondern als Abfolge von verschiedenen, sich abwechselnden Phasen im Laufe der Nacht.
Schlaf, der die am Tag geleerten psycho-physischen Krafttanks wieder auffüllt, gleicht einer Berg- und Talfahrt, schlafmedizinisch unterteilt in fünf verschiedene Phasen: Die Schlafstadien 1 und 2 = leichter Schlaf; das Stadium 3 = leichter Tiefschlaf; das Stadium 4, den Tiefschlaf. Das fünfte Schlafstadium - aus dem Tiefschlaf heraus - sind vier bis fünf Traumschlafphasen, auch REM-Schlaf ( = Rapid Eye Movement-Schlaf) genannt, weil der Mensch in diesem Schlafstadium heftige Augenrollbewegungen zeigt. Normalerweise verträumen wir ein Viertel der Nacht, auch wenn wir das meist nicht mehr wissen, und liegen die Hälfte der Nacht in leichtem Schlaf, aus dem wir leicht erwachen. "Habe ich so gut geschlafen", erklärt Zulley, "merke ich das am Morgen, wenn ich mich fit und ausgeschlafen fühle und zwar, abgesehen von einem leichten Mittagstief, dies den ganzen Tag. Hinzu kommt, dass ich auch in monotonen Situation nicht gleich vom Schlaf übermannt werden darf, auch dies wäre ein Hinweis auf nicht-erholsamen Schlaf."
In diesem hochaktiven Prozess schaltet der Körper seine Leistungs- und Wahrnehmungsfunktionen herunter und setzt stattdessen Reparatur- und Erholungsvorgänge in Gang. Offenbar sind die nur möglich, wenn keine Außenaktivität stattfindet. Dann kommuniziert der Organismus nicht mehr wie tagsüber mit der Außenwelt, sondern ist mit sich selbst beschäftigt. Charakteristisch dafür sind Hormonausschüttungen - zum Beispiel Wachstumshormon. Es sorgt dafür, dass sich der Körper regeneriert, sich also Muskel-, Gewebe-, Haut-, Knochen- und Haarzellen erneuern. Im Schlaf vollzieht sich auch die Erholung des Immunsystems. Wer sich tagsüber kränklich fühlt, beispielsweise in einer Grippewelle, macht oft die Erfahrung, dass ein guter Schlaf für die Abwehr von Krankheitserregern sorgt. Schlaf ist weiter wichtig für die Verdauung, die Abspeicherung von am Tage Gelerntem, für das Löschen überflüssigen Lernmaterials. Und, es kann nicht häufig genug wiederholt werden, für das Auffüllen der Energiespeicher. Und für noch vieles andere mehr.
Denken wir an Schlaf, denken wir automatisch an Nachtschlaf. Aber das ist nicht der einzige Schlaf, der dem Körper frische Energie beschert. Auch das Nickerchen zwischendurch ist nicht zu verachten! "Der Mittagsschlaf gehört zu unserem biologischen Bedürfnis. Wir alle durchleben mittags ein Tief und "sollten dem nach Möglichkeit Rechnung tragen", wirbt Zulley für einen kurzen Zwischenstopp. Was nach außen wie Faulheit aussehen mag, stifte in Wirklichkeit bemerkenswerten Nutzen. Nach einem Nickerchen wird nachweislich effizienter gearbeitet. Und, was ja auch nicht ganz unwichtig ist, die Gefahr, Fehler zu machen, sinkt. Das Nickerchen zwischendurch macht fitter, leistungsfähiger und besser gelaunt. Die Leistungsfähigkeit nach einem Nickerchen steigt um 35 Prozent. Und das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, sinkt um 33 Prozent, wird regelmäßig mittags ein wenig entspannt. Dazu muss es nicht dunkel sein, nicht leise und ein Bett ist auch nicht nötig. Es muss also noch nicht einmal unbedingt geschlafen werden. Fünf oder zehn Minuten sich im Stuhl zurücklegen, die Augen zumachen, tief ein- und ausatmen, sorgt für beachtliche neue Frische.
Hartmut Volk