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Das Upcycling-Kaufhaus
Reststoffhof + Upcycling = besonderes, nachhaltiges Einkaufserlebnis. So lautet die Formel für das schwedische Einkaufszentrum Re-Tuna. Die Kombination aus Konsum und Förderung des Umweltbewusstseins kommt so gut an, dass inzwischen auch Ikea dabei ist.
Leerstand, unattraktive Fußgängerzonen, weniger Kunden im stationären Handel – die Konzepte der Vergangenheit greifen nicht mehr. Es braucht neue Ideen für die Innenstädte und den dortigen Einzelhandel. Ideen, die das veränderte Freizeit- und Einkaufsverhalten der Menschen berücksichtigen. Ideen, die Megatrends wie Nachhaltigkeit im Konsum aufgreifen.
Die Re-Tuna Återbruksgalleria in Eskilstuna, einer Universitätsstadt mit rund 70.000 Einwohnern im Südosten Schwedens, ist das Ergebnis einer solchen Idee. Sie bezeichnet sich selbst als das erste Recycling-Kaufhaus der Welt. Angeboten werden ausschließlich gebrauchte und recycelte Produkte oder solche, die nachhaltig produziert wurden. 2015 war Eröffnung, 2018 lag der Umsatz schon bei umgerechnet mehr als 1 Mio. EUR.
Nachhaltig konsumieren
Das Konzept erinnert auf den ersten Blick an ein Sozialkaufhaus, wo gebrauchte, aussortierte Produkte an Bedürftige weitergegeben werden. Im Re-Tuna steht aber nicht der karitative Aspekt im Vordergrund, sondern das nachhaltige Konsumieren: reparieren statt neu kaufen, weitergeben statt wegwerfen, Ressourcen schonen statt sie gedankenlos verbrauchen.
Die Einwohner von Eskilstuna können ausgediente Produkte wie Möbel, Kleidung, elektrische Geräte, Bücher, Spielzeug und sogar Bauprodukte im Depot des Einkaufszentrums abgeben. Dort werden sie sortiert, auf die weitere Verwendbarkeit geprüft und an die 14 Shops (Stand März 2022) im Re-Tuna weitergegeben. Deren Betreiber wählen aus, was sie verkaufen möchten, und entscheiden, ob die Waren noch repariert werden müssen oder gar veredelt werden sollen. Denn das Upcycling, also das aufwerten gebrauchter Produkte oder ihrer Bestandteile, ist erklärtes Ziel des Konzeptes. Dabei entstehen ganz individuelle Einzelstücke – auch die sind ein aktueller Konsumtrend.
Einkaufstempel mit Bildungsauftrag
Das Re-Tuna belässt es nicht beim bloßen Verkauf von Waren. Vorträge, Thementage und Workshops informieren Interessierte über Aspekte der Nachhaltigkeit. Die örtliche Volkshochschule hat dazu ein Bildungsprogramm entwickelt. Die Veranstaltungen finden in Konferenzräumen statt, die ebenfalls zum Einkaufszentrum gehören und auch von externen Organisatoren gebucht werden können. Und es gibt Führungen, die das Konzept erklären, die Abläufe beschreiben, Hintergründe und Zukunftspläne erläutern.
Betreiber des Re-Tuna ist ein kommunales Unternehmen, das auch für das benachbarte Recyclingzentrum verantwortlich ist. Entstanden ist die Idee für das Upcycling-Kaufhaus in der Stadtverwaltung. Mit ihrem Einkaufszentrum hat sie einen Ort geschaffen, der ein außergewöhnliches Shoppingerlebnis bietet, Konsumwünsche auf nachhaltige Art befriedigt und gleichzeitig das Umweltbewusstsein der Konsumenten fördert. 2021 gab es dafür den schwedischen Verbraucherpreis Blåslampan (Blaue Lampe). In der Begründung der Jury heißt es: „Re-Tuna bietet Einkaufsmöglichkeiten, die sowohl den Geldbeutel als auch die Umwelt schonen, einen Ort zum Einkaufen und einen Treffpunkt, der mehr Menschen dazu ermutigt, klimafreundlich einzukaufen und das Beste aus dem zu machen, was wir bereits haben.“
Testlabor für Ikea
Das Konzept hat auch Ikea überzeugt. 2020 hat der schwedische Möbelriese im Re-Tuna sein erstes Second-Hand-Einrichtungshaus eröffnet. Weltweit wurde das kommuniziert. Zunächst sollten die 72 m
2 Verkaufsfläche für sechs Monate genutzt werden. Inzwischen sind es rund 300 m
2, auf denen noch mindestens ein Jahr lang ausschließlich gebrauchte, in Eskilstuna zurückgegebene Ikea-Möbel verkauft werden.
Das Re-Tuna fungiert für den Möbelhändler als Testlabor: Wie lange halten Ikea-Produkte? Warum werden sie aussortiert und weggeworfen? Was geht kaputt? Wie lassen sie sich reinigen und aufarbeiten? Kaufen die Kunden solche Möbel und zu welchem Preis? Antworten auf Fragen dieser Art erhofft sich Ikea aus den Erfahrungen im Upcycling-Kaufhaus. Denn bis 2030 sollen alle Produkte der Schweden aus erneuerbaren oder recycelten Materialien hergestellt und so konzipiert sein, dass sie wiederverwendet, weiterverkauft oder recycelt werden können.
Thomas Pfnorr
Mehr Infos im Internet:
- Webseite der
Re-Tuna Återbruksgalleria