SN-Home - 7/23
Begriff „klimaneutral“ wird zum Auslaufmodell
Am Begriff „klimaneutral“ gibt es viel Kritik. Die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen Unternehmen, die mit ihm werben. Die EU bereitet strenge Vorschriften für die Verwendung vor. Große Zertifizierer benutzen ihn schon jetzt nicht mehr.
Die Regale sind voll mit klimaneutralen Produkten von klimaneutralen Herstellern. Tatsächlich ist das bei nahezu allen Firmen und den allermeisten Waren aber nur möglich, wenn derzeit nicht vermeidbare Treibhausgasemissionen über Kompensationsmaßnahmen und den Kauf entsprechender Zertifikate ausgeglichen werden (siehe
Klimaneutral durch Reduzieren oder Kompensieren). Diese Tatsache wird in der Werbung gerne verschwiegen und so geht unter anderem die Deutsche Umwelthilfe gegen Firmen vor, die aus ihrer Sicht die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Nase herumführen. Eine erste Klage gegen die Drogeriekette Rossmann war bereits erfolgreich, weitere sind anhängig.
Mit dem Kauf von Klimazertifikaten werden weltweit Projekte finanziert, die Treibhausgase binden oder gar nicht erst entstehen lassen. Dieser positive Effekt wird mit den eigenen Emissionen verrechnet – physikalisch gesehen und in der Theorie ist da absolut in Ordnung, rechtlich auch. Aber inzwischen stehen viele der geförderten Projekte in der Kritik. Neben dem Vorwurf mangelnder Nachprüfbarkeit gibt es vorbehalte hinsichtlich der Wirksamkeit, der Langfristigkeit und der Zusätzlichkeit. Schon wenn einer der letztgenannten drei Faktoren nicht mehr gegeben ist, ist der gewünschte Effekt dahin. Das ist schlecht für’s Klima und schlecht für die Firmen, die die Zertifikate gekauft haben: Klimaneutral sind sie oder ihre Produkte dann nämlich nicht mehr. Und dürfen das in ihrer Werbung auch nicht behaupten.
Der EU ist der Umgang mit dem Wort „klimaneutral“ ebenfalls ein Dorn im Auge. Zwei Gesetzesvorlagen gegen unterschiedliche Formen des Greenwashings haben bereits das Parlament passiert. Die eine untersagt es, Produkte klimaneutral zu nennen, wenn dies ausschließlich durch Kompensation erreicht wird. Die andere verlangt, dass sich Unternehmen nur noch als klimaneutral bezeichnen dürfen, wenn sie das wissenschaftlich fundiert und überprüfbar belegen können. Eine unabhängige Überwachung solcher Aussagen ist ebenfalls geplant. Gelten soll das bereits in der Ankündigungsphase („Wir wollen bis 2030 klimaneutral sein“).
Die Gesetze müssen noch von Europäischen Rat verabschiedet werden, Änderungen sind demnach noch möglich. Auf Seiten der Dienstleister, die Firmen bei der Kompensation beraten und zertifizieren, hat man sich aber bereits neu orientiert. Zwei renommierte Anbieter schaffen ihre Klimaneutral-Label ab: Bei My Climate heißt es künftig „Wirkt. Nachhaltig“. Climate Partner erklärt zu seiner neuen Zertifizierung: „Das Label ,Climate Partner-zertifiziert’ verzichtet bewusst auf einen Claim wie ,klimaneutral’ und stellt stattdessen den kompletten Prozess hinter dem Klimaschutzengagement eines Unternehmens in den Mittelpunkt.“