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BGH-Urteil zu Transparenz bei umweltbezogener Werbung
Der Bundesgerichtshof hat eine grundlegende Entscheidung zur Verwendung umweltbezogener Begriffe in der Werbung gefällt. Deren Bedeutung und Inhalt muss erklärt werden – und zwar direkt. Der Verweis etwa auf eine Webseite genügt nicht.
Reicht es aus, ein Produkt als klimaneutral zu bewerben, ohne die Bedeutung des Begriffs direkt mitzuliefern? Oder müssen Verbraucherinnen und Verbraucher darüber informiert werden, was genau in diesem Zusammenhang gemeint ist? Und wenn ja, wo muss diese Information zu finden sein: Schon auf der Packung und in der Werbung – oder genügen ein QR-Code oder ein Link zu einer Webseite? Diese Fragen hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil eindeutig beantwortet und nimmt Industrie und Handel damit in die Pflicht.
Klimaneutral – ein mehrdeutiger Begriff
2022 schaltete die Firma Katjes für ihr Lakritz und die Fruchtgummis in der Lebensmittelzeitung eine Anzeige. Darauf hieß es: „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral. Jetzt auch gut sichtbar auf jedem Beutel.“ Dazu einen Link und einen QR-Code zu einer Webseite. Dort gab es Informationen dazu, wie Katjes seine Süßigkeiten klimaneutral herstellt. Das geschieht nicht etwa emissionsfrei. Sondern das Unternehmen kauft von einem Dienstleister Zertifikate und mit den dabei erzielten erlösen werden weltweit Projekte gefördert, die Treibhausgase einsparen. Rein rechnerisch sind damit die eigenen Emissionen ausgeglichen. (Zur Unterscheidung zwischen Reduktion und Kompensation siehe
Klimaneutral durch Reduzieren oder Kompensieren.) Auch auf den Katjes-Verpackungen waren anschließend das Wort „klimaneutral“ und der Link zu sehen.
Der Verein Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs betrachtete die Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ auf der Anzeige als irreführend und klagte auf Unterlassung. Die Adressaten der Werbung – der Lebensmittelhandel – müssten annehmen, die Herstellung selbst sei bereits emissionsfrei. Dass sie tatsächlich durch Kompensationszahlungen erreicht wird – was die Wettbewerbszentrale im Übrigen bezweifelt –, bleibe unerwähnt. Diese Information gehöre mit auf die Anzeige.
Werbeaussagen müssen richtig, eindeutig und klar sein
Zunächst beschäftigte sich das Landgericht Kleve mit dem Fall. Es lehnte die Klage ebenso ab wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im anschließenden Berufungsverfahren. Beide hielten ein unlauteres Vorenthalten einer wesentlichen Information für nicht gegeben. In der Anzeige würde nicht behauptet, die Produktion sei CO
2-frei. Und der „situationsadäquat aufmerksame und durchschnittlich informierte Verbraucher“ verstehe unter klimaneutral die ausgeglichene CO
2-Bilanz eines Unternehmens. Wie diese erreicht wird, könne er über den Link auf der Webseite des Dienstleisters Climate Partner erfahren.
Anders sah dies letztinstanzlich das BGH. Nach Auffassung der Bundesrichter ist „klimaneutral“ ein mehrdeutiger Begriff, der unmittelbar erklärt werden muss, auch weil die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist. Im Urteil heißt es: „Für die Frage, ob eine Werbung mit Umweltschutzbegriffen (hier: ,klimaneutral’) und -zeichen irreführend ist, gelten – wie für gesundheitsbezogene Werbung – strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen. (...) Aus dem gesteigerten Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt umweltbezogener Angaben folgt, dass an die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise strenge Anforderungen zu stellen sind. Diese Anforderungen werden bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, regelmäßig nur dann erfüllt sein, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. (...) Eine Erläuterung in der Werbung selbst ist bei der Verwendung des Begriffs ,klimaneutral’, der sowohl die Vermeidung von CO
2-Emissionen als auch die CO
2-Kompensation umfasst, insbesondere deshalb erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO
2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität sind. Vielmehr gilt der Grundsatz des Vorrangs der Reduktion gegenüber der Kompensation.“
Weitreichende Konsequenzen
Zwei Aspekte des BGH-Urteils sind besonders bemerkenswert. Erstens betont das Gericht den Vorrang der Reduktion von Treibhausgasemissionen gegenüber deren Kompensation. Damit befindet es sich in Übereinstimmung mit der Fachwelt, die eine Kompensation allenfalls für eine Übergangslösung hält. Zudem bestehen inzwischen begründete Zweifel an einer Vielzahl solcher Projekte und deren dauerhafter Wirksamkeit.
Zweitens hat der BGH zwar zum Begriff „klimaneutral“ geurteilt, spricht aber ausdrücklich von „Werbung mit Umweltschutzbegriffen“ und fasst die Entscheidung damit sehr viel weiter. Wer seine Produkte also mit mehrdeutigen umweltbezogenen Aussagen bewirbt, muss ab sofort die Erklärung gleich mitliefern. Katjes tut dies übrigens nicht, sondern verzichtet lieber auf den Slogan. Climate Partner hat sich ebenso wie andere Dienstleister vom Wort „klimaneutral“ verabschiedet.
Auf EU-Ebene werden bereits Regelungen gegen Greenwashing und leere Werbeversprechen vorbereitet. Wenn es keinen konkreten Nachweis gibt, sollen umweltbezogene Bezeichnungen zukünftig verboten sein. Auch Nachhaltigkeitssiegel, die nicht auf anerkannten Systemen basieren oder behördlich vorgegeben sind, wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Das Aus für die Bezeichnung „klimaneutral“ scheint ebenfalls besiegelt: Wenn die „Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel“ vermutlich 2026 in nationales Recht überführt ist, dürfen Waren überhaupt nicht mehr als klimaneutral oder CO
2-reduziert beworben werden, wenn Kompensationsmaßnahmen genutzt werden. Aber die industrielle Herstellung von Produkten ganz ohne Treibhausgasemissionen ist derzeit praktisch unmöglich.
Thomas Pfnorr
Mehr Infos im Internet
Das BGH Urteil (I ZR 98/23) als PDF.